Rolls-Royce macht Strom für Düsseldorf

Sie sehen so aus, wie wir sie von Flugzeugen kennen: vorne rasend schnell rotierende Luftschaufeln, hinten die spitz zulaufenden Auslässe, denen hochverdichtetes Rauchgas entströmt. So beschleunigen sie normalerweise Jets und lassen sie in die Luft steigen.
Aber diese Düsen haben sich noch nie vom Boden erhoben, sie stehen bei den Stadtwerken in Flingern. Sechs Stück, angeordnet in drei Gruppen von zwei Turbinen übereinander, warten dort auf ihren Einsatz. Der kommt, wenn durchs plötzliche Ansteigen des Verbrauchs oder Ausfälle binnen kürzester Zeit viel mehr Elektrizität abgefragt wird, als normalerweise über den Tag ins Netz geht. Weil man auf keinen Fall Versorgungslücken dulden will oder darf, gibt es diesen vor Kraft strotzenden Sixpack. Blitzschnell springen sie an, und liefern den Strom, den Düsseldorf dann gerade braucht. Alle zusammen erzeugen 87 Megawatt, sagt der für diese Anlage zuständige Ingenieur der Stadtwerke, Mohammed Chaou (37). Er hat Maschinenbau in Hannover studiert, bei Firmen gearbeitet, die solche Energieanlagen bauen, und ist Kraftwerksexperte.
Die Begeisterung für sein Fachgebiet ist dem Mann anzumerken. Fragt man Zahlen ab, gibt es kein circa oder ungefähr. Der Diplom-Ingenieur legt Wert auf präzise Fakten. Daher auch nicht knapp 90 Megawatt (MW) Leistung, wie ursprünglich kommuniziert, sondern 87. Es gibt aufgrund von technischen Feinheiten Energie-Verluste, wenn die Düsen ihre Arbeit aufnehmen. Das Ergebnis entspricht 120 000 PS. Jede Turbine leistet also 20.000 PS. Das Prinzip ihrer Arbeit ist simpel: Mit dem Schub der am Ende austretenden komprimierten, erhitzten Luft, die normalerweise Flugzeuge antreibt, bringen sie einen Generator auf Trab. Der wiederum erzeugt Elektrizität. Ihre Leistung von 87 MW würde ausreichen, Düsseldorfs Innenstadt zu versorgen. Insgesamt braucht die gesamte Stadt über den Tag rund 500 MW, schwankend nach Jahreszeit und Temperatur. Zum Vergleich: Allein die Düsseldorfer Rheinkirmes verbraucht zu normalen Zeiten neun Megawatt.
Dank der sechs Düsen ist man umgehend in der Lage, Spitzen abzudecken und, besonders wichtig, einen so genannten Schwarzstart hinzulegen. Hinter diesem Begriff verbirgt sich der totale Stromausfall: Alles ist schwarz. Durch die Flugzeugtriebwerke könnte man in diesem Fall sofort wieder eine Stromerzeugung hochfahren, im Netz nach Lieferungen von außen suchen und eine umfassende Versorgung in kurzer Zeit wieder sicherstellen.
Nicht nur Düsseldorf, sondern auch andere Stromversorger kamen in den 1970er Jahren auf die Idee, auf Luftfahrtechnik für die Energieversorgung zu setzen. Damals gab es in den USA einen Stromausfall mit verheerenden Folgen. Da man das in Europa nie erleben wollte, installierte man eine Taskforce für Notfälle. Baugleiche Triebwerke wurden damals in Flugzeugen der Marke Caravelle (hatte die LTU bis Ende der 1970er Jahre) und BAC 1-11 verbaut, mit denen British Airways von Düsseldorf nach Berlin flog. Die waren seinerzeit wegen ihres infernalischen Lärms berüchtigt.
Eine solche Geräuschkulisse spielt in Flingern keine Rolle, denn die Turbinen sind eingekapselt. Und sie laufen auch nicht mit Kerosin, sondern mit – dem Flugzeugtreibstoff ähnlichem – leichtem Heizöl. Wenn die Anlage auf Volllast läuft, verfeuert sie 30 Tonnen pro Stunde. Damit dennoch die Versorgung gesichert ist, stehen direkt nebenan zwei Tanks mit je 1000 Kubikmeter Heizöl. Ein Not-Dieselmotor lässt dieses Kraftwerk im Kraftwerk ohne fremde Hilfe anspringen. Die Anlage war 1973 die erste ihrer Art, die in Deutschland mitten in einer Stadt entstand. Daher legte man besonderen Wert auf Schalldämmung.
