Drei Ärztinnen und ihr Jahr mit Corona

Die Medizinerinnen berichten hier, wie sie die Pandemie erlebt haben, und was sie nun erwarten: die Allgemeinmedizinerin Elisabeth Borowski, die Viszeralchirurgin Katja Staade und die Zahnärztin Iris Schlemmer.
Veröffentlicht am 8. Juni 2021
Die Allgemeinmedizinerin Elisabeth Borowski. Foto: Andreas Endermann
Die Allgemeinmedizinerin Elisabeth Borowski. Foto: Andreas Endermann

Der Spruch von denen, die wirklich durchblicken, weil sie an der Front stehen – hier passt er. In Krankenhäusern und Arztpraxen haben die dort arbeitenden Menschen täglich erlebt, was es tatsächlich heißt, mit einer Pandemie umzugehen. Wie die drei Medizinerinnen, die ich getroffen habe.

Elisabeth Borowski, Allgemeinmedizinerin: Angst vor dem Ende der Priorisierung

Elisabeth Borowski ist eine solche Frontfrau. Die Allgemeinmedizinerin hat seit 15 Jahren gemeinsam mit einem Partner ihre Praxis im Stadtteil Lörick, und sie erlebt seit über einem Jahr, wie sich Corona auf ihre Arbeit auswirkt. Wie Versuche der Politik gescheitert sind, Ordnung in eine schwer zu ordnende Bedrohung zu bringen. 

Schon vor Monaten bezeichnete sie die Priorisierung als völlig falsch, angeordnet von offenbar ahnungslosen Politiker*innen. „Man hätte zuerst die jungen Menschen impfen müssen. Denn sie sind beweglich, und daher verbreiten sie das Virus. Und die Lehrer hätten zuerst dran sein müssen.“ Die sehr Alten ganz nach vorne zu rücken war nach ihrer Ansicht ein Fehler. Diese Gruppe hätte man auch anders schützen können, aber weil man das nicht getan hat, sind tausende gestorben – an einem Virus, das andere von draußen in die Heime gebracht haben.

Seit einigen Wochen ist sie Impfärztin, betreut ihre Patient*innen und Bewohner*innen in der Nähe liegender Wohnheime. Zurzeit kann sie pro Tag knapp 80 Patient*innen impfen. Wie viele Dosen sie genau bekommt, erfährt sie erst am Anfang der Woche, obwohl sie am Donnerstag vorher bestellt. Nun, durch den Beginn der Zweitimpfungen, steigt ihr Kontingent auf 142 Dosen die Woche. 

Aber sie könnte ein Vielfaches davon verimpfen. Denn seitdem die Hausärzt*innen in die Versorgung mit den Vakzinen eingebunden sind, ist der Druck enorm gewachsen. Hunderte von Mails und Anrufen gehen allein in Borowskis Praxis ein, blockieren die Telefonleitung, und überfordern die Crew. „Anfangs habe ich noch auf jede Mail reagiert, habe freundlich geantwortet. Jetzt geht das nicht mehr. Denn ich sehe ja schon an der Adresse, dass mich Leute aus dem gesamten Stadtgebiet anrufen in der Hoffnung, dass ich ihnen helfen kann. Das aber kann ich nicht, denn meine Patienten haben Vorrang.“ Inzwischen klickt sie solche Mails einfach weg. Eine Assistenz hilft inzwischen beim Impfen, aber dennoch dauert der Tag der Ärztin oft von 6 Uhr morgens („Da bereite ich die Impfdosen vor“) bis in den Abend, wenn sie neue Termine vereinbart. 

Entspannung in der Pandemie? Borowski sieht sie nicht – im Gegenteil. Wenn jetzt die Priorisierung aufgehoben wird, also theoretisch jeder geimpft werden soll und kann, dann fürchtet sie das Chaos. „Das wird Probleme geben, weil jeder meint, einen Anspruch zu haben.“ Denn: Es wird auch dann noch nicht genügend Impfstoff für alle geben. Aber alle werden den rettenden Piks wollen – kurz vor der Urlaubssaison die Hoffnung auf die große Freiheit.  

Schon seit einiger Zeit wachse die Aggressivität, nicht zuletzt, weil viele sich beim Arbeitgeber eine Priorisierung besorgt hätten und damit in der Praxis stehen und nach der Spritze verlangen. Systemrelevant, also bitte impfen, lautet die Idee. Schlecht, wenn dann die Dosen weg und neue noch nicht da sind. Da werden wir beschimpft und bedroht, sagt Borowski, und sie glaubt nicht, dass sich das in den nächsten Wochen entspannt. Trotzdem lehnten viele AstraZeneca ab – ein hervorragendes Mittel, wie Borowski sagt, leider durch falsche Meldungen mit einem Negativimage belegt, für das es keinen Grund gibt. Denn die angeblichen Thrombosen treten im Promillebereich auf, bei Anti-Baby-Pillen sei das Risiko höher. 

Anfangs, in den ersten Wochen und Monaten der Pandemie, da sei die Toleranz der Menschen noch hoch gewesen, man habe sich solidarisch verhalten. Aber nun, nach über einem Jahr, ist die Stimmung eine andere. Die Leute seien es müde, noch länger verzichten und warten zu müssen. Borowski kann das verstehen: Mit zwei oder drei Kindern daheim im Home-Office, gleichzeitig in der Pflicht, die Kinder schulisch zu versorgen, das sei eben auf Dauer nicht machbar. 

Angesichts dieser Not von Millionen Eltern sieht sich die Medizinerin in ihrer früheren Forderung nach einer anderen Priorisierung bestätigt: Es wäre vieles in den Schulen anders gelaufen, wenn man die Lehrer*innen und andere Betreuer*innen in die erste Gruppe der zu Impfenden genommen hätte. Hat man aber nicht – mit den nun bekannten Folgen. 

Und auf weiteres Unverständnis stößt bei ihr die Idee, den Patentschutz für die Vakzine aufzuheben. Wer, so fragt sie, soll denn dann die Forschung bezahlen für die Stoffe, die wir bei der nächsten Pandemie brauchen?  

Katja Staade, Viszeralchirurgin in der Schön-Klinik: Vom Ende der Solidarität

Katja Staade ist Viszeralchirurgin an der Schön-Klinik in Düsseldorf-Heerdt. Foto: Andreas Endermann
Katja Staade ist Viszeralchirurgin. Foto: Andreas Endermann

Es kommt ein Moment im Gespräch mit Katja Staade, da ist man froh, damals, als alles begann, nicht alles gewusst zu haben. 

Damals, das ist wenig mehr als ein Jahr her. Erste Nachrichten aus Asien ließen Böses ahnen, jedenfalls in der Welt der Mediziner*innen. Während wir Laien noch alle dachten, wird wohl nicht so schlimm werden, da stellten Kliniken bereits Notfalltrupps zusammen, schufen Krisenstäbe, entwarfen Szenarien für den Fall der Fälle. Viele von ihnen hatten bald eine sehr konkrete Vorstellung von dem, was da anrollte.  

Katja Staade arbeitete zu dieser Zeit in einer Klinik in Velbert. In ihrem Laptop kann sie präzise sehen, wie das Team seinerzeit reagierte: Am 16. Februar 2020 hat man einen Krisenstab eingerichtet, am 19. kam die konkrete Warnung vom Robert-Koch-Institut (RKI) mit Blick auf die Gefahren dieses Virus, am 26. März schuf man eine so genannte Corona-Abklärungsambulanz. Weil man das hohe Infektionsrisiko sah, wollte man jeden Kontakt zwischen Verdachtsfällen und anderen Patienten verhindern. Zudem stoppte die Klinik den normalen OP-Betrieb, und stellte sich auf eine neue Art von Kranken ein. Und dann ging alles schnell, von einer Stunde auf die andere war das Leben und das Arbeiten im Krankenhaus ein anderes, erinnert sich Katja Staade. 

Anfangs sei da auch noch sehr viel Solidarität gewesen, Verständnis für strenge Regeln. Aber heute, mit dem Blick zurück nach über einem Jahr, sieht die Ärztin eine erhebliche Veränderung. Von Solidarität sei wenig geblieben, hat sie erlebt, sowohl im beruflichen wie im privaten Umfeld. Wer, um zu helfen, aus seiner Komfortzone herausmüsse, der definiere Solidarität plötzlich neu, nämlich erheblich beschränkter. Wenn plötzlich das gebuchte Ein-Bett-Zimmer doch nicht verfügbar sein kann, auch Privatpatient*innen längere Wartezeiten akzeptieren müssten, dann ist bei manchen Schluss mit solidarisch.

Sehr schnell hatte die Pandemie für Außenstehende kaum sichtbare, aber tiefgreifende Folgen in der Organisation des Medizinbetriebes. Nicht unbedingt nötige Operationen wurden verschoben, aus einem Aufwachraum eine Intensivstation gemacht, und die Ärzt*innen büffelten Fakten zu der Frage, wie man denn einen Patienten operiert, der zusätzlich an Corona erkrankt ist. Alles Details, von denen nichts nach draußen drang, die aber die Abläufe in Kliniken erheblich beeinflussen, sagt die Chirurgin. Weitreichende Konsequenzen hatten auch nicht pünktlich zugestellte Testergebnisse. Eingriffe konnten erst dann begonnen werden, wenn ein negativer Befund vorlag. Verzögerte sich der aber um ein paar Stunden, brachte das einen kompletten OP-Plan durcheinander. 

Apropos Pläne: Da mehrere Kolleg*innen erkrankten, musste auch das verkraftet werden. Quarantäne der Betroffenen, Ausfälle – es wurde immer komplizierter. So genannte Schattendienstpläne wurden erstellt, um buchstäblich auf alles vorbereitet zu sein. Das ging oft und dauerhaft an die persönlichen Grenzen, sagt die Medizinerin, aber man hat es hinbekommen. In Velbert gab es zeitweise bis zu 80 Corona-Fälle, davon zehn Prozent in Intensivbetten. 

Heute, in der Schön-Klinik in Heerdt, hat sich die Lage nach ihrer Einschätzung insgesamt etwas entspannt, die Zahl der Neuinfektionen gehe deutlich zurück. Das könne man in Krankenhäusern sehr gut beobachten, denn dort würden grundsätzlich alle Patient*innen getestet. 

Und wie ist die persönliche Bilanz? Strenger sei sie geworden im Umgang mit vermeintlichen Virus-Kennern, und sie habe heute eine große Intoleranz gegenüber Corona-Leugnern, empfinde nur noch Wut, wenn bezweifelt werde, was sich abgespielt hat und immer noch abspielt. Und fassungslos macht es die Medizinerin, wenn ein Laie ihr, der Fachfrau, meint erklären zu müssen und zu können, wie das Virus wirklich einzuschätzen und das Thema Impfen zu sehen sei. 

Mehr denn je hat sie Hochachtung für das Personal auf den Intensivstationen. Was da über Wochen und Monate, zum Teil rund um die Uhr geleistet worden sei, könne man nicht genug loben. Es sei extrem belastend, für Stunden mit Vollschutz und Maske diese körperlich anstrengende Arbeit zu machen. 

Umso mehr ist sie empört über die Maskenaffäre in der Politik. Ohne jedes Verständnis sei diese Nachricht von ihr und Kollegen aufgenommen worden. In der Politik sei oft zu lange diskutiert worden, und die Priorisierung beim Impfen würde man im Nachhinein womöglich heute auch anders sehen. 

Kuriose Folge für sie persönlich: Als Chirurgin für Leber-, Magen- und Darmerkrankungen habe sie in diesen Monaten erheblich weniger operiert, dafür aber auch schon mal Nachtdienste in Corona-Stationen gemacht. Privat sei ihr Leben etwas ruhiger geworden. Wegen Beschränkungen durch Ausgangssperren habe sie mehr Zeit daheim mit der Familie verbracht. 

Iris Schlemmer, Zahnärztin: Bohren mit Visier und Doppelmaske

Iris Schlemmer
Zahnärztin Iris Schlemmer Foto: Andreas Endermann

Der 6. März 2020 ist für Iris Schlemmer gut organisiert. Es soll in den Urlaub gehen, der Flug ist gebucht. Das Ziel: Israel. Erstmals will die Zahnärztin aus Düsseldorf-Heerdt ins Heilige Land. Für zwei Wochen. Eigentlich. Denn aus der Reise wird nichts. Die Regierung in Jerusalem ist eine der ersten, die die aufziehende Gefahr durch Corona richtig einschätzt und alles dicht macht. Iris Schlemmer macht dennoch Ferien, allerdings daheim. In den folgenden zwei Wochen denkt sie anfangs noch, am Ende ihrer freien Tage werde sich die Lage beruhigt haben. Doch mit dem Fortschreiten der Zeit wird ihr klar: Das ist ein Irrtum. 

Also beginnt sie, so viele Informationen zu sammeln wie möglich und Schritt für Schritt vorzubereiten, was da offenbar unausweichlich auf sie und ihr Team zukommt. „Was heißt das für unsere Praxis?“ ist die zentrale Frage, auf die sie Antworten finden muss. Und am Ende auch findet. Ihr ist klar, dass sie ihren Patient*innen sehr nahe kommt bei der Behandlung, vor allem dem Mund-Rachen-Raum, wo sich das Virus, wenn es denn da ist, häufig konzentriert. Sie weiß aber auch von den ohnehin hohen Hygienestandards in der Zahnbehandlung. Mundschutz und Handschuhe sind dort schon lange üblich, nun gilt es zu überlegen, wie man das noch verbessern kann.

Bald tauchen aber auch ungeahnte Probleme auf. Simple Dinge wie Masken und Einweghandschuhe werden plötzlich knapp, die Preise explodieren. Trotzdem ordert sie, was zu haben ist, doppelt und dreifach. Ihr ist klar – sie wird dieses Material brauchen. Dringend. Ein 50er-Pack Einweghandschuhe kostet plötzlich nicht mehr vier, sondern 30 Euro, auch heute liegt der Preis immer noch weit über dem Niveau der Vor-Corona-Zeit. Ein bis zwei solcher Päckchen verbraucht die Praxis pro Tag. 

Gemeinsam mit ihrem Team entwickelt sie ein Konzept, sich und die Patient*innen zu schützen. Plexiglasscheiben werden installiert, das Betreten der Praxis wird reglementiert. Lieferant*innen müssen draußen warten, das Wartezimmer ist nun stets leer, denn man organisiert die Termine so präzise, dass Patienten einander nicht mehr begegnen. Wer einen Termin hat, wird an der Tür abgeholt und sofort ins Behandlungszimmer gebracht. Und jeder, wirklich jeder wird kontrolliert auf Fieber oder andere Symptome. 

Wegen der aufwändigeren Prozedur können natürlich weniger Patient*innen betreut werden, die Zahl geht um rund 15 Prozent zurück, schätzt Iris Schlemmer. Für die Mitarbeiterinnen steigt die Belastung trotzdem – der Aufwand in Organisation und Abwickeln braucht mehr Zeit, das dauernde Tragen von Schutzkleidung wird als sehr anstrengend empfunden. Inzwischen gebe es da aber einen Gewöhnungseffekt. Routine kehrt ein, aber man bleibt gründlich. Alle 30 Minuten werden alle Türkliniken und andere Teile desinfiziert, wo es Berührungen gegeben haben könnte. 

Bei der Arbeit am Patienten nutzt die Zahnärztin seitdem einen Mehrfachschutz: Sie trägt ein Visier und darunter zwei Masken übereinander. Und ist sicher: Die Patient*innen werden das gutheißen, weil viele unsicher sind und die Behandlung anfangs meiden aus Angst, sich anzustecken. Sie habe viele Aufklärungsgespräche führen müssen, sagt die Zahnmedizinerin. Schwierig sei die nicht mehr stattfindende persönliche Begegnung, alles müsse per Telefon geregelt werden. Dabei sei die direkte Ansprache bei vielen Patient*innen sehr wichtig. 

Wie wird es nach der Pandemie weitergehen, was bleibt von Corona? Iris Schlemmer ist sicher, dass die erhöhten Hygienestandards beibehalten werden. Sie selbst hat sich entschieden, keine Impfungen anzubieten. Das könne sie nicht leisten, damit sei der normale Praxisbetrieb nicht zu gewährleisten. Für Impfgegner*innen hat die Ärztin – selbst mit ihrer Crew seit Februar geimpft – kein Verständnis. Man lasse sich ja auch gegen andere Krankheiten impfen, sagt sie. 

Die Entscheidungen der Politik findet sie im Rückblick problematisch. Besser wäre es auf jeden Fall gewesen, das medizinische Personal in den Kliniken viel früher zu impfen. Man hätte eher auf Mediziner*innen und Wissenschaftler*innen hören sollen, meint sie. Und Angst vor einer Ansteckung? Nein, habe sie nie gehabt, sagt sie. Anders als viele Kollegen, denen man angemerkt habe, dass die Nähe zu Patient*innen plötzlich als persönliches Risiko empfunden wurde. 


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