So eine Scheiße

Sorry für diese Überschrift – aber sie trifft es leider exakt: Alljährlich gibt es in den ländlichen Bereichen Düsseldorfs Ärger wegen des Gülle-Gestanks. Dahinter steckt ein riesiges Geschäft, es geht um Millionen.
Veröffentlicht am 9. Juni 2021
Gülle wird in die Landmaschine gepumpt und dann über ein System von Düsen in den Boden gepresst. Das Foto hat Hans Onkelbach in Büderich, Nahe der Stadtgrenze Düsseldorf, gemacht.
Gülle wird in die Landmaschine gepumpt und dann über ein System von Düsen in den Boden gepresst. Das Foto hat Hans Onkelbach in Büderich, nahe der Stadtgrenze zu Düsseldorf, gemacht.

Geld stinkt nicht? Kommt drauf an. Das, von dem hier die Rede ist, stinkt sehr wohl. Allerdings nur jenen Menschen, die in Düsseldorf oder Umgebung in Ortsteilen wohnen mit Nähe zur Landwirtschaft. Oder nahe den Rheinwiesen links- und rechtsrheinisch. Diese Grünflächen werden in Teilen für Heu genutzt, sind also auch landwirtschaftliche Flächen. Regelmäßig ist das deutlich zu riechen. Von den meisten unbemerkt läuft schon seit Jahren im Hintergrund ein Streit über das Abfallprodukt der Massentierhaltung. Behörden wie das Landesumweltamt, das Landwirtschaftsministerium, aber auch Fachverbände, Naturschützer wie BUND und Greenpeace kritisieren den Umgang mit dem vermeintlichen Naturdünger. Es gibt längst ein Regelwerk, aber offenbar wird nicht ausreichend oder effizient kontrolliert. Das Geschäft mit dem, was bei Schweinen, Rindern oder Hühnern achtern rauskommt und irgendwie weg muss, ist also auch ein politisches Problem. Von Schäden an der Umwelt, vor allem beim Wasser, ganz zu schweigen.

Wo kommt die Gülle her? 

Zu einem großen Teil aus den Niederlanden. Bis 2019 waren es rund 1,5 Millionen Tonnen so genannter Naturdung, der von dort pro Jahr nach Nordrhein-Westfalen geliefert wird, neuerdings sinken die Zahlen. Hauptsächlich sind es die Ausscheidungen von Schweinen, aber auch von Rindern, Hühnern und andere Reste intensiver Landwirtschaft. Sie werden nicht etwa importiert, weil es in NRW einen Mangel an Gülle gibt, sondern weil hiesige Landwirte entdeckt haben, dass sie damit Geld verdienen können.  Denn sie müssen nicht etwa für den vermeintlichen Naturdünger bezahlen, sondern sie erhalten Geld dafür, wenn sie den Niederländern die tierischen Fäkalien abnehmen statt teuren Kunstdünger einzukaufen. Nach Schätzungen des Bundes für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) werden jährlich etwa 60.000 Lkw-Ladungen Gülle aus den Niederlanden nach Deutschland importiert. 

Woher kommt der Überschuss bei den Nachbarn? 

Die Nutztierhaltung in den Niederlanden ist zu umfangreich für das kleine Land. Die Folge: Es gibt bei unseren westlichen Nachbarn weitaus mehr Gülle, als dort legal verteilt werden kann. Das ist in entsprechenden Gesetzen geregelt. Dass diese Regeln eingehalten werden, wird im Nachbarland scharf kontrolliert, Verstöße sind teuer. Daher lohnt es sich für die niederländischen Bauern, trotz der längeren Transportwege die Gülle nach Deutschland zu bringen, obwohl sie dafür bezahlen müssen. Deutsche Landwirte kassieren dafür je nach Art des Düngers bis um die 20 Euro je Kubikmeter. Allerdings ist die Menge, die auf Felder oder Wiesen aufgebracht werden kann, begrenzt. Trotzdem kann das Ganze zu einem guten Geschäft werden. 

Wie wird das alles hier kontrolliert? 

Kontrolle ist schwierig, obwohl es eine so genannte Notifizierungspflicht gibt. Mit ihr wollen beide Länder die Transportwege der Gülle überprüfen. Aber das gelingt nur bedingt, das System weist Lücken auf. Immer wieder tauchen Berichte über dubiose Lieferungen auf. Es ist nicht auszuschließen, dass hunderttausende von Kubikmetern illegal oder unkontrolliert bewegt werden. In entdeckten Fällen dieser Art waren Adressen angeblicher Empfänger gefälscht oder gar nicht existent, wie es in einer Stellungnahme des Landwirtschaftsministeriums und in der Fachzeitschrift „Agrar heute“ vom 17. Oktober 2018 heißt. Das Fazit: Illegale Entsorgung der tierischen Fäkalien ist vermutlich ein profitables und schwer zu durchschauendes Geschäft. Allerdings wächst offenbar das öffentliche Interesse an den Vorgängen. Bei gezielten Kontrollen kam es in den letzten Jahren häufig zu hunderten von Verstößen gegen die Auflagen. Auch eine neuerdings eingesetzte GPS-Überwachung der Tanklaster funktioniert nicht lückenlos. 

Der Nährstoffbericht (Beispiel 2017) der Niederlande zeigt die Dimensionen der Importe:
Rindermist: 38.382 t
Rindergülle: 3.995 t
Geflügelmist: 112.570 t
Schweinmist: 20.518 t
Schweinegülle: 445.652 t
Champost: 389.368 t (Reste aus der Champignonzucht)
Gärrest: 444.402 t (das ist der flüssige oder feste Rückstand, der bei der Vergärung von Biomasse in einer Biogasanlage zurückbleibt. Er wird ebenfalls als Dünger genutzt)
Sonstige: 3.018 t
Insgesam: 1.457.904 t 

Neuerdings sind die Zahlen allerdings rückläufig.  Laut der aktuellen Statistik der niederländischen Unternehmensagentur (RVO), führte das Nachbarland von Januar bis September 2020 insgesamt rund 2,45 Millionen Tonnen Tierdung aus; das waren drei Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.
Wichtigstes Bestimmungsland war laut RVO – wie in den Vorjahren – Deutschland, und dort vor allem NRW. In der Summe gingen rund 1,17 Millionen Tonnen über die Grenze; gegenüber den ersten drei Quartalen 2019 war das ein Minus von elf Prozent.

Darf übers gesamte Jahr mit Gülle gedüngt werden? 

Nein, die Fristen sind geregelt. Kurz vor dem winterlichen Düngeverbot bringen Landwirte den sogenannten „flüssigen Wirtschaftsdünger“ aus. Laut Düngeverordnung darf auf Ackerland in Deutschland von Oktober bis Ende Januar keine Gülle ausgebracht werden. Im Vergleich zu den europäischen Nachbarländern sind die deutschen Sperrzeiten für das Ausbringen der Gülle sehr moderat. In den Niederlanden und Belgien gelten laut Branchenmagazin Topagrar strengere Vorschriften. Das bedeutet: In der Zeit des Gülleverbots wird sie gelagert, und das kostet viel Geld. Niederländische Bauern müssen teure Lagerkapazitäten für sieben Monate, die dänischen sogar für neun Monate vorhalten – in Deutschland sind es nur vier. Also ist es für die Landwirte unserer Nachbarn günstiger, die Hinterlassenschaften ihrer Tiere nach Deutschland zu exportieren. 

Wie wird die Gülle auf die Felder gebracht?

Es gibt inzwischen regelrechte Hightech-Geräte für dieses Geschäft, das aus Scheiße Geld macht. Riesige Maschinen mit speziellen Aufsätzen verteilen den flüssigen Dünger über Düsen nicht auf, sondern direkt in den Boden. Damit will man einerseits den unerwünschten (und oft Protest verursachenden) Geruch vermeiden, der vom Ammoniakgehalt verursacht wird. Und andererseits den Dung möglichst schnell und tief in den Boden eindringen lassen. Firmen aus Deutschland und den Niederlanden reisen mit diesen Giganten an, große Tanklastwagen schaffen den Stoff herbei, aus dem der Gestank ist. Wer in Düsseldorf häufiger auf den Feldern am Stadtrand unterwegs ist, wird diese Szenen beobachtet haben.  

Wieso steigt die Nitratbelastung der Böden durch Gülle? 

In der Regel durch Überdüngung. Die Pflanzen, für die dieser Dünger eigentlich gut ist, können die Menge der Nährstoffe nicht mehr aufnehmen und die Nitrate geraten in die Böden und von dort ins Grundwasser, also auch in unsere Trinkwasserversorgung. Was dazu führt, dass aufgrund dieser Belastung es immer aufwändiger wird, wirklich sauberes Trinkwasser zu fördern. Versorger gehen seit langem dazu über, tiefere Brunnen zu bohren, aus denen sie Wasser holen, das noch nicht oder kaum belastet ist. Tiefer bohren kostet mehr Geld – also zahlen wir alle am Ende dafür, dass mit Gülle Geld verdient wird. Von gesundheitlichen Risiken ganz zu schweigen. Nach einer EU-Verordnung gibt es eine Obergrenze für Nitratbelastung von 50 Milligramm pro Liter. In Teilen NRWs wird dieser Grenzwert überschritten und das Wasser muss daher gesäubert beziehungsweise mit weniger belastetem Wasser gemischt werden. Es gibt Studien, nach denen schon ein erhöhtes Krebsrisiko bei 35 Milligramm pro Liter besteht.

Wer organisiert den Handel mit dem so genannten Naturdünger? 

Es gibt eine Reihe von regelrechten Güllebörsen. Ähnlich wie bei Wertpapieren, Öl oder Strom wird der Stoff dort angeboten und weiterverkauft. Der Sitz dieser Börsen ist häufig der Nordwesten unserer Landes. 

Redaktionelle Mitarbeit: Lara Zarnekow

Weiterführende Links

Mehr zur Belastung von Grund- und Trinkwasser finden Sie hier.

Zu den Maschinen der Landwirte gibt es hier weitere Informationen.

So läuft der Handel.

Weitere Artikel zum Gülle-Export sind hier und hier zu lesen.

Zur Entwicklung der Export-Zahlen

Zu den Rechts-Vorschriften


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