Langenfelder Tüftler entwickeln Dachziegel mit eingebauter Solarzelle

Die Zukunft kann bisweilen ziemlich unübersichtlich sein. Das denke ich an diesem Montag. Kurz vor der Auffahrt zur A59 zwischen Langenfeld und Monheim geht es rechts rein. Und dann bin ich mittendrin. Viele große weiße Hallen, die alle ziemlich gleich aussehen. Da verliert, wer sich selten in Gewerbegebieten bewegt, schnell die Übersicht. Hier, zwischen dem großen Aldi-Lager, Autoservice Engels und einem Möbelanbieter, da muss es doch irgendwo sein. Wenig später habe ich das kleine Entwicklungs- und Ingenieurbüro Paxos gefunden – jenen Ort, an dem an den Solardächern der Zukunft gebastelt wird.
Solar ist ein wichtiger Zweig der 2015 in Solingen gegründeten und seit 2019 in Langenfeld ansässigen Firma. Das wäre nicht weiter spannend, denn die gibt es inzwischen überall. Die keramikbeschichteten Module von Paxos sind aber angeblich besonders. Davon will ich mir ein Bild machen. Projektmanager Heiko Koska streicht mit der Hand über die Dachpfannen, die im Keller der Firma aufgebaut sind. Es sind keine einfachen Dachziegel. Die Ingenieure von Paxos haben ein sogenanntes Multi-Energie-Dach entworfen, Dachpfanne und Solar-Modul sind dabei eins und werden auf ein Trapezblech montiert. Die Solardachpfanne kombiniert Photovoltaik und Solarthermie für die Gewinnung von Strom und Warmwasser. Ein Kühlsystem soll Effizienz und Lebenszeit der Anlage steigern. Die warme Abluft kann auch mit einer Wärmepumpe verbunden werden und deren Leistung erhöhen.
Paxos hat verschiedene Varianten entworfen: Es gibt den quadratischen Solarflachziegel und, ein Hingucker, den sogenannten Solarbiberschwanz. Die Ziegel sind in Terracotta, braun und schwarz erhältlich und gleichen auf den ersten Blick herkömmlichen. Sie verfügen aber über ein Solarmodul. Die hellen sehen besonders schick aus, leisten allerdings nicht so viel wie die dunklen. Denn schwarze Solarzellen können mehr Sonnenlicht absorbieren und daher mehr Strom erzeugen.

Paxos ist kürzlich in die Kleinserien-Produktion eingestiegen – mit einer Partnerfirma in Litauen. Warum dort? „In Deutschland haben wir niemanden gefunden, der so kleinteilig laminieren kann“, sagt Heiko Koska. Genau dies ist aber wichtig für die Herstellung der High-End-Dachziegel. Die litauische Firma erhält die Einzelprodukte von Paxos und laminiert dann in einem aufwendigen Verfahren Glas, Folie, Solarzelle, eine weitere Folie und noch einmal eine Lage Glas zu einer Dachpfanne zusammen. Anschließend wird der Rahmen von Paxos verbaut und fertig ist das Multi-Energie-Dach und die nächste Generation Solartechnik. Richtig auf den Markt kommen sollen die Produkte im Frühling.
Solar boomt, Paxos ist nur eine von vielen Firmen, die sich zurzeit in diesem Geschäftsfeld tummeln. Während viele Menschen in der Heizungsdebatte längst Überblick und Geduld verloren haben, geht es beim Klimaschutz an anderer Stelle voran – beim Ausbau der erneuerbaren Energie. Durch sie wird inzwischen mehr als die Hälfte des Stromverbrauchs gedeckt. Immer mehr Privatleute und Unternehmen setzen auf Sonnenenergie zur Stromerzeugung. Laut dem Statistischen Bundesamt waren im Frühjahr etwa 2,6 Millionen Photovoltaik-Anlagen installiert – 16 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Im ersten Quartal wurden dem Bundesverband Solarwirtschaft zufolge deutschlandweit 159.000 Photovoltaik-Anlagen für Privathäuser in Betrieb genommen. Eine Steigerung um 146 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Großer Beliebtheit erfreuen sich auch die kleinen und vergleichsweise günstigen Balkonkraftwerke.
Wenig deutet darauf hin, dass der Boom bald endet. Für private Neubauten soll zum 1. Januar 2025 eine Solarpflicht eingeführt werden, viele, die heute bauen, statten ihre Häuser schon freiwillig mit einer Photovoltaik-Anlage aus. Die ist nicht ganz günstig. Ein Rechenbeispiel auf Basis des NRW-Solarkatasters: Wer 35 Quadratmeter Reihenhaus-Flachdach mit Photovoltaik bestücken will, muss für Module, Montage, Baugerüst und Stromzähleraktualisierung mit Kosten von knapp 15.000 Euro netto rechnen. Die hohen Investitionskosten scheinen viele nicht abzuschrecken, ganz im Gegenteil. Das hat verschiedene Gründe: Im Gegensatz zur Heizung ist die Photovoltaikanlage ein Leidenschaftsobjekt. Viele reizt die Aussicht, sich mit Energie mindestens teilweise selbst versorgen zu können. Sobald die Sonne scheint, kann man es quasi im Portemonnaie klimpern hören. Per App lässt sich jederzeit verfolgen, was die eigenen Solarzellen gerade leisten. Wenn Besitzer mir davon erzählen, haben sie oft leuchtende Augen.
Bei unserem Modellhaus mit einer nach Süden ausgerichteten Anlage ist ein jährlicher Stromertrag von knapp 8000 Kilowattstunden möglich. Etwa ein Drittel davon lässt sich für den Eigenverbrauch nutzen, mit Speicher noch mehr. Der Rest fließt gegen eine Einspeisevergütung ins Stromnetz. Der Hausbesitzer wird also zum Kleinunternehmer. Die Amortisationszeit unserer Anlage ohne Speicher beträgt, laufende Kosten wie Wartung und Versicherung schon eingerechnet, etwa 15 Jahre, anschließend macht man Gewinn. Hier sind das nach 20 Jahren immerhin etwa 5800 (mit Teilfinanzierung) bis 6800 Euro (ohne Darlehen).
Die Politik setzt Anreize, um Solardächer zu fördern: Betreiber müssen auf die Erträge ihrer Anlage keine Einkommensteuer mehr zahlen, seit Anfang 2023 sind Lieferung und Installation der Anlagen auf Wohngebäuden steuerfrei. Die Einspeisevergütung wurde erhöht, Besitzer kleinerer Anlagen (bis zehn Kilowatt Leistung) können überschüssige Energie nun für 8,2 Cent pro Kilowattstunde ins öffentliche Netz einspeisen. Eine Parallele zu den Heizungen gibt es aber: Die Fachkräfte fehlen. Die Solarwirtschaft schätzt den Bedarf auf 100.000 zusätzliche Arbeitskräfte, um den anvisierten Ausbau der Sonnenenergie zu realisieren.
Dies war auch Thema bei der Messe Intersolar im Juni in München, auf der auch Paxos vertreten war. Heiko Koska erzählt, dass der Ansturm am Stand der Firma riesig gewesen sei. Wie es bei Paxos nun weitergeht: Die Firma befindet sich in der finalen Prototypenphase für Solarflachziegel und -biberschwanz. Man steht in intensivem Austausch, auch mit der Dachdecker-Innung. Solaranlagen werden in der Regel von Elektrikern angeschlossen. Aber da bei den Paxos-Produkten die Grenzen zwischen Stromerzeugung und Dachdeckung verschwimmen, ist es wichtig, dass alle Beteiligten wissen, was es beim Aufbau zu beachten gibt.
Der Verkaufsstart ist für März 2024 geplant, pünktlich zur Messe Dach und Holz in Köln. Dann soll auch der offizielle Verkaufspreis feststehen. Grob angepeilt ist beim Solarflachziegel Koska zufolge ein Quadratmeterpreis, der etwa zehn Prozent höher liegt als für herkömmliche Ziegel und Solar-Paneele in derselben Größe. Parallel läuft die Suche nach Musterdächern und externen Investoren. Zusammen mit dem Bergischen Abfallverband und der TH Köln baut Paxos am Standort Metabolon in Lindlar ein Tinyhouse mit einer Fassade aus Solarflachziegeln und reinen Photovoltaik-Modulen auf dem Dach. In den nächsten Wochen sollen die Arbeiten an einem weiteren Musterhaus in Solingen beginnen. Das dürfte dann leichter zu finden sein als der Firmensitz im Gewerbegebiet.