Düsseldorfer Whatsapp-Gruppen retten Lebensmittel

Es beginnt mit einer Portion Abendessen, die plötzlich übrig ist. Mica Scheidt hat gerade gekocht, als seine Freundin anruft und fragt, ob er ausgehen möchte. Natürlich möchte er, aber was macht er jetzt mit dem Essen? Mica fragt seinen Nachbarn, ob er Hunger und Lust auf eine frisch gekochte Portion hat. Der Nachbar guckt kurz irritiert, dann freut er sich. Und Mica hat auf dem Weg zu seiner Verabredung einen Gedanken im Kopf, der ihn seitdem viel durch die Stadt bringt und zum Administrator von 16 Whatsapp-Gruppen mit mehr als 400 Mitgliedern gemacht hat.
Der Gedanke: Es scheint ganz einfach zu sein zu verhindern, dass man Lebensmittel wegschmeißen muss, und macht anderen damit sogar Freude. Man muss es nur organisieren. Für professionelle Anbieter von Speisen, also Restaurants und Cafés, gibt es entsprechende Apps. Da bieten dann Bäckereien belegte Brötchen am Nachmittag zu einem reduzierten Preis an oder Kantinen laden ein, nach dem großen Andrang vorbeizukommen und günstig ein etwas verspätetes Mittagessen zu bekommen. Von privat zu privat gab es diese Form des Lebensmittelrettens in Düsseldorf aber noch nicht.
Und so entsteht im Mai dieses Jahres Food Sharing (Fosh) by Mica Scheidt. Der 38-Jährige beginnt in einer Straße in Golzheim. Er druckt einen Flyer, auf dem er oben Icons von einem Joghurtbecher, einer Banane und einem Brot sowie darunter einen Text mit der Erklärung seiner Idee druckt. Die Flyer wirft er in Briefkästen, klebt sie an Haustüren und beginnt, sehr regelmäßig auf sein Handy zu starren. Langsam fragen die ersten Leute aus der Nachbarschaft, ob sie in die Gruppe eintreten können, dann – endlich – bietet der erste etwas an, das er jemand anderem geben möchte: eine Kiste mit Salat und Gemüse.
Mica ist motiviert und macht seitdem regelmäßig Spaziergänge mit einem Stapel Flyer. Erst durch andere Straßen, dann durch weitere Stadtteile. Und so sind in wenigen Wochen schon 16 Gruppen entstanden, die nach folgendem Prinzip funktionieren: Man scannt den QR-Code auf dem Flyer und tritt einer oder mehreren Stadtteilgruppen bei. Wenn man dann etwas teilen möchte, macht man ein Foto von den Lebensmitteln und stellt es in die Gruppe, die weiteren Fragen werden im privaten Chat geklärt. Und so haben Artischocken, Brat-Paprika, Petersilie, Kartoffeln, Reis, jede Menge Nudeln, Buchstabensuppen, ein Schoko-Nikolaus, Müsli, das der Sohn auf einmal nicht mehr mag, veganes Hack, echtes Fleisch, Katzenfutter, Pizzakäse und ein frisches Chili den Ort gewechselt, aber keinen Mülleimer von Nahem gesehen. Wer vor oder beim Tauschen Fragen hat (zum Beispiel, ob das mit dem Katzenfutter okay ist), schreibt Mica eine Nachricht.
Der kennt das Bestreben, keine Lebensmittel wegzuwerfen, seit seiner Kindheit. Mit seiner Mutter diskutierte er regelmäßig, wieviel Nudeln sie denn kochen soll. Mica plädierte für die ganze Packung, die Mutter für 250 Gramm – um sicher zu sein, dass nichts übrigbleibt, das dann keiner mehr isst.
Dass Mica Scheidt diese Philosophie nun in Düsseldorf fortsetzt, passt gut in die Zeit und zu anderen Ideen. Wer ein Buch nicht mehr lesen oder behalten mag, bringt es zu einem der inzwischen 23 Offenen Bücherschränke. Und wer beim Aufräumen Dinge entdeckt, von denen er annimmt, dass andere sie noch gut gebrauchen können, stellt einen Karton mit der Aufschrift „Zu verschenken“ auf die Fensterbank oder vor die Haustür.
Es ist das umgekehrte Prinzip der hauptberuflichen Aufräumerin Marie Kondo. Die rät in ihren Büchern und in ihrer Netflix-Serie, jeden Gegenstand in die Hand zu nehmen und sich zu fragen, ob er noch etwas in einem auslöst. Ist dies nicht der Fall, soll man sich davon trennen. Bei den beschriebenen Ansätzen aus Düsseldorf nimmt man die Dinge in die Hand und fragt sich, ob sie jemand anderem noch Freude machen und stellt sie dann raus oder in die Whatsapp-Gruppe von Fosh by Mica Scheidt.
Der wiederum wird weiter mit seinen Flyern spazieren gehen und dafür sorgen, dass noch mehr Menschen von seinem Gedanken erfahren und mitmachen. Mittlerweile hat er rund 800 Zettel aufgehängt und noch keine unangenehme Situation erlebt. Lediglich einmal kam ein Hausmeister auf ihn zu und fragte, was das denn für ein Zettel sei. Mica Scheidt lächelte und erklärte ihm die Idee. Der Hausmeister nahm den Zettel und hängte ihn ans Schwarze Brett im Hausflur, damit er ganz sicher nicht weggeweht wird.

Weiterführende Informationen und Links
Whatsapp-Gruppen von Fosh gibt es aktuell in folgenden Stadtteilen: Pempelfort, Golzheim, Derendorf, Bilk, Unterbilk, Friedrichstadt, Oberbilk, Carlstadt, Düsseltal, Hafen, Flingern Süd, Flingern Nord, Garath und Umgebung, Stadtmitte, Niederkassel und Oberkassel. Wer sich einer oder mehrerer Stadtteilgruppen anschließen möchte, findet hier die Übersicht: https://linktr.ee/fosh.bymica
Die Instagram-Seite von Mica Scheidt steht hier: www.instagram.com/fosh.bymica
Angebote von Restaurants, Cafés und Geschäften zum Lebensmittelretten gibt es zum Beispiel auf www.toogoodtogo.com/de und www.foodsharing.de.