
Am Ende zurück zu den Wurzeln
Bäume, das ist nachgewiesen, üben auf alle Menschen eine heilsam-beruhigende Wirkung aus. Egal, ob Buche, Kastanie, Lärche, Tuja, Robinie, Ahorn. Die mächtigen Eichen sowieso. Sie stehen für Natur jenseits unseres Zeitempfindens, viele waren vor uns da und werden es nach uns noch sein. Manche Menschen bringt das ins Grübeln.
Ein naheliegender Gedanke also, ihre unmittelbare Umgebung für Bestattungen zu nutzen. Nahe am Stamm, unter den ausladenden Wipfeln im weit verzweigten Wurzelwerk die letzte Ruhestätte haben und – auch das mag dazu gehören – irgendwann Teil dieses Baums zu werden.
Der Waldfriedhof in Meerbusch-Büderich hat diese Idee aufgegriffen. Etwa zwölf Jahre haben Planung und Vorbereitung gedauert, vor einem Jahr wurde er in einer ökumenischen Zeremonie eingeweiht. Inzwischen sind Dutzende Menschen dort beerdigt worden, und die Nachfrage bleibt hoch. Fast täglich beobachtet man dort Trauergemeinden, nicht selten mehrfach nacheinander.
Der Wald, übrigens der Meerbusch genannt und Namensgeber der Kommune, gehört seit 1804 der Familie der Freiherren von der Leyen, seinerzeit Seidenfabrikanten in Krefeld. Von den vielen Spaziergängern, die dort unterwegs sind, dürften die wenigsten ahnen, dass der Forst über die Generationen bewirtschaftet, das heißt gepflegt, gehegt, genutzt wird. In den Wochen vor Weihnachten schlägt und verkauft man Christbäume, ab und zu werden reife Stämme gefällt und verkauft. Nun ist die Nutzung als Friedhof hinzugekommen.
Waldruhestättenförster Thorsten Freyer ist ein überzeugter, daher auch überzeugender Vertreter dieses Konzepts. Er arbeitet für die Waldbetriebe Haus Meer GmbH, und er war von Anfang an dabei – vom Konzept bis hin zur Realisierung. Ein langer Weg, wie er erlebt hat, aber nun ist man dort angekommen, wo man hinwollte. Und ist zufrieden, denn die Nachfrage nach dem Produkt „Letzte Ruhestätte nahe eines Baumes“ ist hoch. Natürlich ist das Teil der Bewirtschaftung, daraus macht der passionierte Jäger und gelernte Handwerker kein Geheimnis. Einen Wald zu erhalten, ist kostspielig, und er bringt nur im Idealfall genug, um daran zu verdienen.
Wo wir gerade über Geld reden: Es gibt ein abgestimmtes Tarifgefüge, und dafür jeweils passende Namen. Pauschal wird jede Beisetzung mit 350 Euro berechnet. Einer von maximal zwölf Plätzen an einem Försterbaumplatz, den Freyer auswählt, kostet für 25 Jahre 650 Euro plus die Kosten der Beisetzung. Sucht man sich einen der markierten Bäume selbst aus, stehen zwischen 720 und 1650 Euro auf der Rechnung, je nach Wertstufe (Standort, Wuchs) des Baumes. Dauer dieser Nutzung: bis zum Jahr 2119. Diese vermeintlich krumme Zahl ist bedingt durch eine Erbpachtregelung, die 2020 begonnen hat und 99 Jahre läuft. Teuer wird es unterm Privatbaum: Man erwirbt alle zwölf Plätze, bestimmt die Nutzungsberechtigten und zahlt, je nach Baumart, zwischen 5400 und 8550 Euro – ebenfalls für die Zeit bis 2119. Für das Grab unter dem Sternenkinderbaum wird nichts verlangt. Er ist für Kinder, die vor ihrem dritten Lebensjahr versterben oder tot zur Welt kommen.
Den Friedhof als solchen zu erkennen braucht bisweilen einen zweiten oder dritten Blick. Alles ist offen, Zäune, Rabatten, Zierpflanzen, gestutzte Sträucher, also genormte Natur gibt es nicht, dieser öffentliche Friedhof ist in die Natur eingebettet. Nur ein paar Hinweistafeln aus Holz fallen auf, und ein Teil der Wege zwischen den Begräbnisbäumen wurde mit Kies ausgelegt, aber insgesamt hat man bewusst so wenig es möglich in die Natur eingegriffen. Einzig dunkelrote Bänder an einzelnen Stämmen signalisieren die Bedeutung, hier und da sind kleine, grüne Schilder angebracht, auf denen die Namen der dort Ruhenden eingraviert sind. Rund 300 Bäume hat man auf dem etwa 40 Hektar großen Areal namens „Rehdonk“ ausgewählt, nach und nach werden sie genutzt, die Kapazität auszuweiten ist kein Problem.
Beerdigt wird auch in der freien Natur nach klaren Regeln. Da es nach deutschem Recht dort verboten ist, Behältnisse im Boden zu vergraben, kommen Urnen nicht in Frage. Also lässt man die Asche der Toten vom Krematorium in kleine Leinensäcke füllen. Die werden in 50 Zentimeter Tiefe begraben.
Und was zieht die Menschen zur letzten Ruhestätte im Wald? Wer im Leben die Natur gern nah erlebt hat, ist auch für seinen Tod geneigt, diese Nähe zu erhalten. Dass dort die Trauer anders abläuft, haben Thorsten Freyer und seine Assistentin Brigitte Röhle immer wieder gesehen. Die Stimmung ist deutlich gelöster als man sie erwartet, in der Natur Abschied zu nehmen scheint weniger schwer als in einer Kirche oder einem Andachtsraum. Wer dennoch religiöse Rituale wünscht, kann sie finden: Im Zentrum des Friedhofs wurde eine Andachtsstätte eingerichtet. Mehrere Holzbänke stehen hintereinander, ausgerichtet nach einem vorne aus einem Eichenblock gesägten Rednerpult, daneben eine Ablage für ein Foto des Verstorbenen oder den Beutel mit der Asche. Das aufs natürliche Material reduzierte und schmucklose Ensemble ist überragt vor einem mehrere Meter hohen, schlichten Holzkreuz – ein zum Ort passender Rahmen für eine Abschiedszeremonie in welchem Stil auch immer.
Diese Atmosphäre hat erstaunliche Auswirkungen, sagt Brigitte Röhler. Sie hat gerade eine Trauerfeier nach buddhistischem Ritus betreut und ist sichtlich beeindruckt von dem, was sie erstmalig erlebte. Und Freyer erinnert sich an eine Frau, die nach der Beerdigung der Mutter unter einem der Bäume zu ihm kam und gestand: „Ich bin so glücklich!“
Einen solchen Satz hört man auf einer Beerdigung normalerweise nicht.
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