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ADAC-Training: Mit Ü70 voll in die Eisen

Werden Alte zum Sicherheitsrisiko im Verkehr und sollten lieber den Führerschein abgeben? Eine heikle Frage. Häufig wird ihnen empfohlen, ihre Fähigkeiten am Steuer aufzufrischen. Das habe ich jetzt gemacht – und viel gelernt. Unter anderem: Jeder sollte teilnehmen.
Von Hans Onkelbach (Text)
und Andreas Endermann (Foto)
Veröffentlicht am 14. November 2023
ADAC Fahrsicherheitstraining für Senior:innen
Fahrschule mal anders: Über das Funkgerät in der Mittelkonsole bin ich mit dem Trainer verbunden und warte auf seine Anweisungen. Dabei beobachte ich den Wagen vor mir, der gerade in einer Übung ist.

9 Uhr, ADAC-Verkehrssicherheitszentrum Grevenbroich. Rund 40 Frauen und Männer fahren nach und nach in ihren Autos vor: Smart, Golf, Touareg, T-Roc-Cabrio, Mercedes SLK – die komplette Bandbreite der Pkw-Marken. Es sind ältere Menschen, und mein erster Eindruck ist: Die Senioren von heute sind auch nicht mehr die alten. Sie tragen knöchelhohe Chucks, Sneaker und Jack-Wolfskin-Jacken. Einer hat seinen Bart mit einer silbernen Schnalle zum Zopf geflochten, ein anderer trägt Designerjeans mit angeknöpften Vintage-Hosenträgern aus Leder und erzählt, er sei über Jahre Rallyes gefahren. Die Männer sind in der Mehrzahl. Allen gemeinsam: Sie haben seit Jahrzehnten ihren Führerschein und wollen schauen, ob sie den noch weiter nutzen sollten. Der Automobilclub hat sie zu einem Auffrischungskurs eingeladen. Und ich, vor fünf Monaten 70 geworden, erlebte erstmals seit langem das Gefühl, zu den Jüngsten zu gehören. Die meisten sind deutlich über 80.

Dass ich an diesem Kursus teilnehme, verdanke ich dem Kollegen Christian Rothenberg. Der hatte unter der Überschrift Opa und das letzte bisschen Freiheit über die Frage berichtet, wie man mit einem betagten Menschen umgeht, der eigentlich oder auch nur vielleicht nicht mehr ans Steuer dürfte. Von außen ist das leicht zu beurteilen, für die Betroffenen jedoch ein dramatischer Einschnitt in ihr Leben, sozusagen der Vorbote des baldigen Abschieds von allem. Empfohlen werden so genannte Auffrischungskurse. Die sind freiwillig, haben keinerlei konkrete Folgen, sondern sollen – immerhin – ermöglichen zu sehen, was man noch weiß, was es Neues gibt und was man noch kann.

Ich habe meinen Führerschein 1971 gemacht, mit 18. Seitdem fahre ich Auto und hatte als sehr junger Mensch nur einen nennenswerten selbst verschuldeten Unfall ohne Personenschaden, seitdem aber ein paar Beulen und Schrammen vor allem an meinen Fahrzeugen, aber auch an anderen hinterlassen. Derzeit bringe ich pro Jahr rund 30.000 Kilometer hinter mich, bin viel in der Stadt unterwegs und auf langen Strecken. Bei den meisten Fahrten kommt nur das Auto infrage.

Ehrlicherweise muss ich zugeben, neuerdings ab und zu eine Unsicherheit zu spüren, von der ich früher nichts wusste: Knifflige, unübersichtliche Situationen auf komplizierten Kreuzungen, nächtliche Fahrten bei Regen – das ging schon mal entspannter, ist aber (noch) händelbar. Dennoch: Eine Auffrischung kann nicht schaden. Da kommt das Angebot des Clubs, über 70-jährigen Mitgliedern dieses Event zu schenken, gerade richtig.

Bei der Anmeldung treffe ich auf erfreulich freundliche Menschen und werde zu einem Termin im November gebeten. Früher geht nicht, die Nachfrage ist sehr hoch. Damit habe ich nicht gerechnet, sondern erwartet, in kleiner Gruppe unterwegs zu sein. Ein Irrtum. Es sind zwei Gruppen, und in jeder sind rund 20 Personen.

ADAC Fahrsicherheitstraining für Senior:innen
Vollbremsung auf nasser Straße vor einer plötzlich hochgehenden Wasserwand. Eine spannende Erfahrung.

In der kurzen Einführung erklärt uns Trainer Norbert Pohl (52), was uns erwartet. Mein Eindruck: Anfangs rechnet er mit einer gewissen Schwerhörigkeit und spricht betont laut. Das gibt sich jedoch schnell, Hörprobleme scheint niemand zu haben.
Schnell geht es nach draußen. Das elf Hektar große Gelände bietet verschiedene Straßen, Steigungen und Kurven. Alle fahren mit dem eigenen Auto, Pohl hat jedem ein Funkgerät gegeben, mit dem er von der Spitze aus erklärt, was zu tun ist.

Vor allem geht es um Bremswege und Reaktionstests. Auf einer etliche hundert Meter langen Bahn stehen im ersten Drittel vier rote Plastikhütchen. Die Aufgabe: Mit 30 km/h durch die Hütchen und in diesem Augenblick eine Vollbremsung machen. Also mit aller Kraft das Pedal treten – voll in die Eisen. Wenig später lässt er alle mit 50 bremsen. Ich probiere 70 aus und bin wirklich beeindruckt: Der Bremsweg vervierfacht sich. Uns wird klar, welchen Unterschied es macht, mit niedrigem oder hohem Tempo das Auto zum Stehen zu bringen: Es geht vielleicht um Leben und Tod.

Noch krasser wird es bei Nässe. Ein Dutzend Sprinkler setzen den Asphalt unter Wasser, und wir merken, was der Begriff „regennasse Fahrbahn“ bedeutet: einen nochmals längeren Weg bis zum Stillstand. Wie auf Eis oder Schnee, erklärt uns der Fachmann – Glätte ist Glätte. Am Ende wird eine Schikane aktiviert: Vor dem Auto taucht plötzlich eine Wand aus senkrechten Wasserstrahlen auf. Es gilt, voll zu bremsen und an der Wand vorbei zu kommen. Dank ABS sollte das klappen. Tut es auch, aber erst im dritten oder vierten Anlauf.

Fazit: Allen merkt man später an, wie diese Erfahrung sie beeindruckt hat. Weil noch niemand einen solchen Extremfall er- und überlebt hat, hatten wir alle nur eine vage Vorstellung, wie sich Nässe und Tempo auswirken. Auch wer schon lange fährt, lernt hinzu, kann selbst einschätzen, wie gut und schnell er reagiert hat. Also würde ich raten, einen solchen Kurs – für Nichtmitglieder kostet er 160 Euro – zu belegen. Zumal es einen Heidenspaß macht. Im Grunde wäre es sinnvoll, bereits bei der Fahrschule diese Dinge konkret zu lehren. Deshalb ist der Lehrgang Frauen und Männer jeden Alters zu empfehlen.

ADAC Fahrsicherheitstraining für Senior:innen
Trainer und Fahrlehrer Norbert Pohl: Nachdem er uns aufs Gelände gelotst hat, regelt er über das Schaltpult die Übungsbahn und gibt per Funk Anweisungen jeweils in die Autos.

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