Neuer Kunstpalast Düsseldorf: Rubens in der Toniebox

Willkommen in diesem dreidimensionalen Wimmelbild. Sie gucken nicht nur drauf, Sie sind mitten drin. Also: Gehen Sie spazieren mit Füßen und Augen! Zeit werden Sie brauchen, viel Zeit. Und gute Schuhe. Immerhin geht es um die Kunst und das Design aus elf Jahrhunderten und aus vielen Ländern. Die 800 Exponate schlagen auf 5000 Quadratmetern den Bogen über die Epochen und zeigen uns Staunenden, wie die Dinge sich entwickelt haben. Oder auch nicht. Oder parallel, oder ähnlich, oder auch gar nicht.
Irgendwann beim Rundgang fragt man sich: Wo sind sie all die Jahre gewesen, diese Schätze? Manches hat man früher gesehen, klar – ein Rubens („Die Himmelfahrt Mariens“) war immer unübersehbar. Aber nun ist der Blick auf das Meisterwerk ein neuer, denn das monumentale Gemälde wird uns gegenüber dem modernen Stück „Erdtuch“ (aus abertausenden Kronkorken) des ghanaischen Künstlers El Anatsui hängend präsentiert. Dieses Duo will betrachtet sein. Über 400 Jahre liegen zwischen den Werken, und in dieser Zeit ist – locker gesagt – eine Menge passiert. Auch in der Kunst. Der Betrachter ist also auf einer reich illustrierten, endlosen Zeitachse unterwegs. Spätestens in diesem riesigen hohen Raum mit einer frei schwingenden Treppe nach oben ist das erste „Wow“ fällig.
Natürlich wird der Blick beim Rundgang durch 49 Räume nach rechts und links gelenkt, er zeigt Religionen anhand von Skulpturen und offenbart uns damit Gemeinsamkeiten im Glauben an das Göttliche. Oder er wird unweigerlich gefesselt durch eine scheinbar an die Wand gepappte Aldi-Tüte. Die kennt jeder, aber ihren Erfinder keiner: Gunter Fruhtrunk. Ab jetzt ist er berühmt. Überhaupt ist es das Alltägliche, das unser Leben begleitet, sogar prägt, das man aber nicht in einer solchen Ausstellung erwartet. Der VW-Käfer aus den 1960er Jahren überrascht, noch mehr eine Birkenstock-Sandale, ein Radio, ein Handy von heute und sein Vorläufer („Knochen“) aus den frühen 1990er Jahren. Zeitlos auch sie, perfekt designt und interessant in der Epoche ihrer Entstehung, heute ein Kuriosum und in Zukunft – ja, was? Vermutlich auf jeden Fall interessant. Wie man dann womöglich Ausstellungen erlebt, zeigt eine Virtual-Reality-Installation.
Wer auch immer auf die Idee kam, Düsseldorfs berühmteste Altstadt-Disco der späten 1960er Jahre, das Creamcheese, nachzubauen, ist zu beglückwünschen: Von Künstlern gestaltet, blieb sie einmalig, wurde damals nach etlichen Jahren geschlossen. Und es ist einem Glücksfall zu verdanken, dass so viel von ihr nicht nur in der Erinnerung erhalten blieb. Nun kann man es anschauen, sogar anfassen und bekommt eine Ahnung, wie die Macher und Gäste damals tickten, als es zwar TV, aber kein Internet, keine Handys und keine KI gab – klug war man selbst, kreativ sowieso. Ob uns sowas heute gelingt, mit Langzeitwirkung für Jahrzehnte? Man wird sehen. In ein paar Tagen kann die wiederauferstandene Bar jeder testen: Das Creamcheese 2.0 wird am Rand der Ausstellung tatsächlich von Gästen genutzt werden. Das Bier dafür liegt schon kalt.
Um sich die Dimension dessen klarzumachen, was im neuen Kunstpalast geschaffen wurde, nur zwei Zahlen: Das Haus sitzt auf einem größtenteils noch nie gehobenen Schatz von 130.000 Exponaten. Skulpturen, Designstücke, Kleidung, Bilder, Zeichnungen – und für die Ausstellung mussten 800 Stück ausgewählt werden. Wenn der Spruch von der Qual der Wahl jemals konkret war, dann hier. Das ahnt man, wenn Kuratorin Felicity Korn sagt: „Jedes Stück verdient es, gezeigt zu werden.“
Die Chance dafür wird sich den nächsten Monaten und Jahren ergeben. Weil: Das, was jetzt zu sehen ist, bleibt nicht auf Dauer stehen oder hängen. Der Kunstpalast soll eine lebendige Präsentation haben, immer wieder werden Exponate gegen neue ausgetauscht.
Da man aus dem Vollen schöpfen kann, ist das kein Problem. Schon jetzt ist die Liste der zu sehenden Werke und ihrer Schöpfer beeindruckend: Gerhard Richter, Andreas Gursky, Konrad Klapheck, Heinz Mack, Günther Uecker, Otto Piene (Zero-Gruppe), Peter Paul Rubens, Max Clarenbach, Joseph Beuys, Auguste Rodin, Max Liebermann, Arnold Böcklin, Lucas Cranach der Ältere – sehr alte, nicht ganz alte und neue Namen. Und, weil’s so ganz anders ist, Charles Wilp mit seinen Fotos zur Werbung für Afri Cola ist ebenfalls da. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Museums-Chef Felix Krämer, seit 2017 an Bord und gerade mit einem verlängerten Vertrag bis 2034 verpflichtet, kann man ansehen, dass er sein Glück kaum fasst angesichts dieses Fundus und der im Leben einmaligen Chance, solche Fülle gestalten zu können.
So oder so – eine Flut von Eindrücken prasselt auf den Gast. Den meisten wird daher vermutlich erst auf den dritten oder vierten Blick auffallen, dass es keine Steckdosen in diesen Räumen gibt. Sie hätten das Gesamtbild gestört, also wurden sie demontiert. Selbst die gesetzlich vorgeschriebenen Hinweise auf Notausgänge sind versteckt worden. Sie werden erst dann durch besondere Farben sichtbar, wenn es Alarm gibt.
Natürlich bedient man sich neuester Technik: Wer will, kann sich eine App aufs Handy laden und sich die Werke virtuell ansehen. Oder eine Tour buchen, bei der Felix Krämer die Führung selbst übernimmt – jedoch nur in Gestalt seines Avatars.
Familien bietet diese Ausstellung einen so bisher noch nie umgesetzten Umgang mit Kindern. Die werden zwar in den meisten Museen nicht vergessen, es gibt Spiel- und Aufenthaltszonen. Aber der Kunstpalast hat begriffen, im Nachwuchs die Zukunft zu sehen: Es gibt daher mehrere ausschließlich für Kinder gestaltete Räume (an den niedrig angebrachten Türklinken erkennbar), und man hat die Erklärungen für 45 Exponate kindgerecht auf eine Toniebox gesprochen, anzuhören beim Gang durch die Ausstellung. Welch eine Spannweite: Der Superstar des Barock, Peter Paul Rubens, auf einer Toniebox gemeinsam mit Liebermann, Uecker, Beuys und Gursky.
Fazit: Düsseldorf hat sich den Umbau des Museum Kunstpalast 50 Millionen Euro kosten lassen – eine kluge Investition. Auf jeden Fall hingehen, es lohnt sich.
Weiterführende Informationen
Der erste offene Tag ist der kommende Dienstag, 21. November. Bis 26. November ist der Eintritt frei. Am Samstag, 25. November, gibt es im und am Kunstpalast ein großes Fest.




