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Heissmangel Helmut Müller Düsseldorf
Helmut Müller sagt „Hallo“ und Helmut Müller sagt „Auf Wiedersehen“. Foto: Andreas Endermann

Helmut hört auf

Er war Elektriker, Hotelier, Schlagzeuger und Spediteur. In wenigen Tagen schließt Helmut Müller, 72, auch seine Wäscherei am Fürstenplatz. Zeit für meinen ersten Besuch.

Veröffentlicht am 23. Dezember 2022

Ich werde nun doch nicht über Helmut Müller schreiben. Es gibt sicher Menschen, die die richtigen Wörter und Sätze kennen, die richtigen Gedanken entwickeln, um ihn wenige Tage vor seinem Ruhestand angemessen zu würdigen, bloß bin ich keiner dieser Menschen. Das ist bedauerlich, weil er trotz seines Allerweltsnamens zwar keinen spektakulären, aber filmreifen Berufsweg zurückgelegt hat. Vorausgesetzt man mag Filme, in denen nichts explodiert.

Ich bin schon am Einstieg gescheitert. Daran, zu beschreiben, wie ich an einem Dienstagmorgen im November an der dauerdröhnenden Heißmangel stehe in seiner Wäscherei am Fürstenplatz mit den drei Waschmaschinen, dem riesigen Trockner und einem uralten Sicherungskasten. Und wie Helmut – wir siezen uns keine Sekunde – einen Meter von mir entfernt steht, ein kleiner Mann von 72 Jahren mit Brille und fliehender Stirn. Sollte Helmut überhaupt irgendeine kantige Körperstelle haben, verschwindet sie unter seiner mit einem Reißverschluss zugezogenen Strickjacke aus Baumwolle. Seinem Rücken sieht man an, dass er sich schon unzählige Male nach vorne gebeugt hat, um Wäsche zu falten. Nur wenn Kundschaft den Laden betritt, geht er ein paar Schritte hinter die Theke. Danach steht er wieder da, und ich stehe hier, als würden wir einen Plausch unter Nachbarn halten und uns gleich verabschieden. Bloß werden, als wir uns wirklich verabschieden, mehr als zwei Stunden vergangen sein. Ich weiß wirklich nicht, wie ich diese Stimmung vermitteln kann, diese zügig wachsende Gewissheit, dass alle Folgetermine zu verschieben sind.

Auch ist mir schleierhaft, wie ich Helmut sprechen lassen sollte. Unsere Unterhaltung habe ich aufgezeichnet. Sein Rheinisch klänge in einem Podcast warm und herzlich und authentisch, aber geschrieben droht jeder Dialekt seinen Sprecher beschränkt klingen zu lassen, obwohl keine Beschränkung vorliegt. Helmut jedoch Hannoveraner Hochdeutsch sprechen zu lassen, würde ihm ungefähr alles nehmen. Einmal berichtet er mir zum Beispiel von einem Vertreter, der in seinen Laden kam, und das klingt dann so: „Mit der Mappe unterm Arm. Da weiß ich genau: Der will mir wat verkaufen. ‚Herr Müller, wir wollen Ihnen Ihren Umsatz erhöhen.‘ Ich hab genug Umsatz, überhaupt kein Problem. ‚Wir machen so schöne Flyer.‘ Ich sach: Wat soll denn da draufstehen? ‚Wie lange sind Sie denn hier?‘ Ich sach, zwanzig Jahre. ‚Das wäre ein Aufhänger. Ich mach da son Riesenspruch draus: Sie arbeiten schon 20 Jahre am gleichen Fleck.‘ Da habe ich zu dem gesagt: Wenn die Leute sehen, dass ich 20 Jahre an einem Fleck arbeite, sagen die Leute, wat ist das denn fürn Scheiß?“

Die Worte gehen in Helmuts Lachen unter.

„Dat musst du dir mal vorstellen.“

Das ist jetzt eine gemeine Stelle, den Text auszublenden, das wissen wir.

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