Die musikalische Vergangenheit der Schadowstraße
„Die Schadowstraße war ja schon immer ein wenig trostlos“, sagt mein bester Freund P., und ich überlege, ob man die Kolumne wirklich mit so einer Aussage beginnen kann. Weil: Das hier soll auf keinen Fall in so ein „Früher war alles besser“-Gejammer abgleiten. Wir haben jedenfalls gerade bestellt – bei Mr. Bens, das ist eine relativ neue und sehr gute Café-Bar-Kette, die von einem Düsseldorfer gegründet wurde, und eine der Filialen residiert im Kö-Bogen II an der Ecke Bleichstraße, integriert in den Flagshipstore des Schuhhändlers Görtz. Man sitzt hinter hohen Glasscheiben und beobachtet das Gewimmel draußen oder das Schuhgestöber drinnen.
„Was heißt hier schon immer?!“, sage ich. „Die Schadowstraße, die du kennst – das ist doch bloß die hässlich-triste Nachkriegs-Schadowstraße.“
P. nippt an einem Cappuccino, den die Kellnerin ihm inzwischen gebracht hat, und dann sagt er mit aufgesetzt-klugem Unterton: „Ich sehe schon, du spielst auf die Gründerzeit-und-Jugendstil-Schadowstraße an, oder?“
„Genau!“ Ich nicke. „Jene Straße, die nach demjenigen benannt worden ist, der dort …“, durchs Schaufenster zeige ich auf eine Gedenktafel, die vom Heimatverein Düsseldorfer Jonges am gegenüberliegenden Eckhaus zur Bleichstraße installiert worden ist, „… gewohnt hat.“
„Rein zufällig habe ich das Schild eben fotografiert“, sagt er, zückt sein iPhone, zieht mit Daumen und Zeigefinger die Schrift groß, zitiert den ersten Satz: Hier, in einem Vorgängerhaus, wohnte der Maler und Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie Friedrich Wilhelm von Schadow (1788-1862).
Stammleser wissen Bescheid: Unser Dialog kann nicht ganz ernst gemeint sein. Ein Rollenspiel, bei dem wir Pingpong mit mehr oder weniger vorgeplanten Sätzen spielen. Wir unternehmen diese Kaffeepause an der Schadowstraße nämlich, um eines weiteren Vorgängerhauses zu gedenken. Genauer gesagt handelt es sich um das Vorgängerhaus des Vorgängerhauses – bezogen auf eben die Adresse (heute Nr. 54, früher Nr. 52), an der wir uns gerade befinden. An den Fünfziger-Jahre-Bau, in dem lange Jahre ein Ladengeschäft von Quelle als Mieter residierte und der erst vor ein paar Jahren abgerissen wurde, dürften sich die meisten noch erinnern (bei Bedarf „Schadowstraße 52“ bei Google Street View eingeben). Und selbst, wer die neue Architektur als zu „kalt“, zu wuchtig, zu eckig, zu protzig, zu gesichtslos empfindet, könnte einräumen: Der Kö-Bogen II und die Umgestaltungen der vergangenen Jahre haben die oben erwähnte „hässlich-triste Nachkriegs-Schadowstraße“ trotzdem aufgewertet – irgendwie. Wobei mein bester Freund P. sagt, das sei ja auch nicht allzu schwer gewesen, und die „neue“ Schadowstraße würde ihn, auch wenn das vielleicht kitschig klänge, so gar nicht im Herzen berühren.
Vielleicht passt diese Aussage ganz gut zum eigentlichen Thema, zur alten Pracht dieses Ortes. Wir reisen dafür noch weiter in die Vergangenheit: Im Jahr 1900 errichten die Architekten Alois Ludwig und Gottfried Wehling auf dem Eckgrundstück Schadowstraße 52/Bleichstraße 23 ein Gebäude im Jugendstil. Im Buch Düsseldorf und seine Bauten (1904) ist von einem „bemerkenswerten Versuch“ die Rede, „Glasflächen zur Verkleidung von Mauerkörpern an der Aussenfront zu verwenden“. Gelobt wird außerdem die „elegante moderne Formgebung“, die „künstlerisch belebte Aussenerscheinung“ sowie der „krönende figürliche“ Abschluss der „interessanten Ecklösung“. Kurzum: Selbst angesichts der umtriebigen Architektur-Konkurrenz in der Umgebung ist das neue Haus ein Hingucker.
Das ist jetzt eine gemeine Stelle, den Text auszublenden, das wissen wir.
Unser Journalismus ist werbefrei und unabhängig, deshalb können wir ihn nicht kostenlos anbieten. Sichern Sie sich unbegrenzten Zugang mit unserem Start-Abo: die ersten sechs Monate für insgesamt 1 Euro. Danach kostet das Abo 8 Euro monatlich. Es ist jederzeit kündbar. Alternativ können Sie unsere Artikel auch einzeln kaufen.
Schon Mitglied, Freundin/Freund oder Förderin/Förderer?