DDR-Feeling an der Kö: Schlange stehen für Taschen, Tassen, Tücher

Samstagvormittag, 10.30 Uhr, Kö-Karree: Vor dem MCM-Laden steht eine Schlange von 30 oder 40 jungen Frauen und Männern, durchweg aus Asien. Wieso gehen sie nicht hinein ins Geschäft? Weil dort ein Zettel an der Tür hängt mit der Botschaft „Coffee Cup Event at 12“.
Aha. Das heißt, in etwa anderthalb Stunden, nämlich um 12 Uhr, gibt es hier ein Event namens „Kaffee-Tasse“. Das klingt jetzt nicht gerade atemberaubend. Neugierig wie ich schon aus beruflichen Gründen bin, frage ich eine junge Frau, warum sie dort schon jetzt steht und wartet.
„Wegen der Kaffee-Tasse.“
„Wegen einer Kaffee-Tasse?“
„Ja!“
Sie zeigt mir ein Foto auf ihrem Handy. Darauf ist ein Becher zu sehen (wie ich später erfahre, ist er aus Glas), über und über bedruckt mit dem Kürzel MCM. Gelabelt heißt das und macht aus einem – für mich – eher simpel aussehenden Pott dadurch so etwas wie ein geadeltes Trinkgefäß, sozusagen den Heiligen Gral der Konsum-Community. Jedenfalls für diese Leute, die hier geduldig warten. Wie beim Becher aus der Artus-Sage braucht es halt Geduld.
Ich google das Ding und siehe da – im Online-Shop wird die Tasse für 69 Euro angeboten. Aber vielleicht ist es nicht die gleiche. Nebenbei lerne ich, wofür MCM steht: Modern Creation München. Ich hatte eher an Manta-Club-Mettmann gedacht. Bisher war mir die Marke nämlich nur im Umfeld von tiefergelegten Autos untergekommen, deren Sitze mit diesem Buchstaben-Trio gesprenkelt und von Frauen namens Chantal besetzt waren. Vermutlich ist der Aufstieg dieser Marke in die Top-Liga à la Louis Vuitton und Hermès an mir vorbeigegangen.
Ungefähr eine Stunde später komme ich wieder an dieser Stelle der Königsallee vorbei. Nun steht die Schlange – der Coffee Cup Event beginnt in 30 Minuten – ums Eck bis vor Gucci. Ein dort wachender Sicherheitsmann ist sichtlich genervt und scheucht die Wartenden weg. Vermutlich, weil sie die Schlange stören könnten, die sich bald vor seinem Geschäft bilden wird.
Angeblich seit Corona, als die Beschränkungen immer strenger wurden, gibt es dieses Phänomen der geduldig Wartenden. Ein Beobachter hat es so beschrieben: “Die pro-kapitalistische Demonstration findet heute vor Louis Vuitton statt.” Ja, stimmt. Und geregelt ist sie natürlich auch: Vordrängeln kommt nicht vor.
Ich hatte eine andere Assoziation: Bei vielen Reisen in die damals noch existierende DDR waren sie mir immer wieder aufgefallen, diese großen Gruppen vor den Geschäften. Egal, ob Lebensmittel oder Metallwaren – überall lange Reihen von Frauen und Männern. Später hörte ich, dass sich manche anstellten ohne zu wissen, was drinnen zu haben war. Brauchen können würde man es auf jeden Fall. Im DDR-Witz sprach man von „sozialistischen Wartegemeinschaften“.
Jetzt also an der Kö. Vor allem bei Louis Vuitton (Taschen!) und Hermès (Tücher!), aber auch bei anderen Luxus-Marken gibt es sie. Der angebliche Grund: Die Geschäfte wollen drinnen kein Gedränge und vor allem keine Kunden, die unbeaufsichtigt umherschlendern und alles anfassen. Von Diebstahl wollen wir mal gar nicht reden. Man lege Wert auf die individuelle Beratung, heißt es. Und die findet tatsächlich statt. Wem sich die Pforte verheißungsvoll auftut, der wird persönlich in Empfang genommen, hat also einen Mann oder eine Frau an der Seite, die sich die Wünsche anhört und – soweit möglich – erfüllt, bevor man feierlich zur Kasse geleitet wird, wie die Braut zum Altar. Wo es gediegen weitergeht: aufwändiges Einpacken durch Fachpersonal, der Bon kommt in einen Briefumschlag, zum Schluss wird eine Tüte im unübersehbaren Design überreicht. Dass sie draußen zum Statussymbol der happy few wird, ist kühles und perfekt funktionierendes Kalkül: Seht her, ich war drin, ich kann es mir leisten, dort einzukaufen.
Dass häufig Leute aus asiatischen Ländern in den Schlangen sind, liegt am Preis in Deutschland: Einige dieser Luxus-Labels sind hier, selbst an der Kö, bis zu 35 Prozent günstiger als in deren Heimatländern. Es lohnt sich also. Außerdem klappt das Prinzip der künstlichen Verknappung, wie das Beispiel der MCM-Tasse zeigt. Angeblich, so wird mir erzählt, gibt es sie in einer nur begrenzten Auflage – was sie automatisch noch begehrenswerter macht.
Allerdings nicht ganz so exklusiv wie der Gral. Den gibt es nur ein einziges Mal. Dafür wurde er bis heute nicht gefunden.