Was am Ende der Jürgensplatz-Debatte bleiben wird

Bürgerbeteiligung ist eher selten Anlass für hunderte Internet-Beiträge und Sonderschichten im Rathaus. In der Frage, wie der Jürgensplatz in Unterbilk künftig heißt, ist aber genau das passiert. In der ersten Märzwoche verbreitete sich die Freude an Vorschlägen offensichtlich massiv: Fußballfans aus ganz NRW trugen Ideen ein und Rivalitäten aus, Menschen, die politisch eher links stehen, präsentierten ihre Favoriten und ein paar Verschwörungstheoretiker auch.
So wuchs die Zahl der Kommentare und Bewertungen der Vorschläge – zunächst ungebremst. Am Freitagabend (7. März) schaltete sich dann jemand von der Stadt ein, sortierte die Beiträge und erklärte, wann eine Idee ungeeignet ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Person noch lebt, da Straßen ausschließlich nach Verstorbenen benannt werden. Schlechte Nachrichten für die Fußballfans oder die Befürworter des Jacques-Tilly-Platzes. Der aktuelle Stand ist hier zu finden.
Die ohnehin schon lange Debatte um den Jürgensplatz ist damit um noch eine ungewöhnliche Episode gewachsen. Um die jetzigen Vorschläge einordnen zu können, erläutere ich deshalb zunächst, was bisher geschah:
Ausgangspunkt: Stadt untersucht historisch belastete Straßennamen
Die meisten Ehrungen auf Straßenschildern sind in Düsseldorf mindestens Jahrzehnte alt. Über Personen, die man einst würdigte, wurde später bekannt, dass sie Kolonialismus, Militarismus, Antisemitismus oder Nationalsozialismus aktiv gefördert haben. Deshalb beauftragte der Kulturausschuss 2018 einen wissenschaftlichen Beirat, die Straßennamen in Düsseldorf auf solche Fälle zu untersuchen und Empfehlungen abzugeben.
Bastian Fleermann, Leiter der Mahn- und Gedenkstätte, und Benedikt Mauer, Leiter des Stadtarchivs, präsentierten schließlich die Ergebnisse: In zwölf Fällen stufte der Beirat die bisherigen Namensgeber als „historisch schwer belastet“ und „nicht haltbar“ ein und empfahl, die Straßen umzubenennen. Den Abschlussbericht finden Sie hier.
Umsetzung in den Stadtteilen
In der Praxis kümmerten sich darum die Bezirksvertretungen, weil sie die Situation vor Ort am besten einschätzen können. Sie informierten die Bürger:innen und diskutierten Vorschläge. Auch damals konnte man im Internet Ideen einreichen, am Ende gab es 45 Beiträge in dem Forum. Das erklärt, warum die jetzige Meinungsvielfalt überraschend kam.
Das Ziel der Stadt, möglichst viele der Straßen nach Frauen zu benennen, erreichten die Bezirkspolitiker:innen nur bedingt. Einige mieden weitere Debatten und wählten eine Ortsbeschreibung (An der Kämpe oder Eisvogelweg), andere entschieden sich trotz allem wieder für einen männlichen Namensgeber (Hermann-Smeets-Straße).
Der Jürgensplatz bildete einen Sonderfall, weil der Umgang mit der historischen Person Franz Jürgens komplexer erschien. Er war zunächst als Mitglied der „Aktion Rheinland“ geehrt worden. Die Gruppe hatte im April 1945 dafür gesorgt, dass Düsseldorf an die Amerikaner übergeben wurde, ohne dass es zu weiteren Kämpfen kam. Einige der Mitglieder, darunter Franz Jürgens, wurden für diese Form des Widerstands von den Nazis hingerichtet.
Die neuen Untersuchungen ergaben allerdings, dass Franz Jürgens zuvor das Regime aktiv unterstützt hatte. Er war Mitglieder der NSDAP, gab einst an, „jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat“ einzutreten und unterstützte ab 1941 Deportationen jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger. Deshalb beschloss der Stadtrat im März 2024, alle nach Franz Jürgens benannten Orte zu verändern, unter anderem das Berufskolleg in Bilk und die Gedenkstätte für die „Aktion Rheinland“. Den neuen Namen für den Platz vor dem Polizeipräsidium wollte man in einer Bürgeranhörung im Stadtteilzentrum Bilk erörtern.
Beteiligte wechseln den Favoriten
Im Vorfeld des Treffens machten die Anwohner:innen des Platzes deutlich, dass sie den bisherigen Namen behalten wollten. Ihre Argumentation: Eine Umbenennung bedeutet für alle Nachbarn einen hohen Aufwand. Im Fall des Jürgensplatzes könne man dies vermeiden, indem man ihn einem anderen Menschen mit diesem Nachnamen widmet, zum Beispiel dem Schauspieler Curd Jürgens oder dem Musiker Udo Jürgens.
Zunächst dominierte diese Position das Treffen in Bilk. Dann kam es zu einer überraschenden Wende: Polizeipräsidentin Miriam Brauns hielt eine starke Rede und plädierte für „Platz der Polizei“. Am Ende der Anhörung konnten die Besucher:innen Punkte neben ihre favorisierten Vorschläge kleben. Die meisten standen bei „Platz der Polizei“.
Die nächsten Wenden
Da auch dieser Vorschlag Kritik nach sich zog, wurde die Idee weiterentwickelt. Man wollte den Platz nach einem Polizisten benennen, der wesentlich aufgearbeitet hat, welche Rolle die Düsseldorfer Polizei im Dritten Reich spielte: Klaus Dönecke. Der Vorschlag fand in den politischen Fraktionen viel Zustimmung, verschwand aber kurzfristig von der Tagesordnung des Stadtrats. Die Tochter Klaus Döneckes bat darum, auf diese Ehrung verzichten und den Platz nach einem Opfer des Nationalsozialismus zu benennen. Das wäre mehr im Sinne ihres verstorbenen Vaters.
Damit stand man mit der Debatte wieder am Anfang und eröffnete das Internet-Forum – mit dem bekannten Ausgang.
Die Vorschläge, die nun noch in der Diskussion sind
- Jürgensplatz – benannt nach Udo oder Curd Jürgens
- Platz der Polizei – auch als Zeichen des Respekts für Polizistinnen und Polizisten, die in den vergangenen Jahren im Dienst immer häufiger verbal und körperlich attackiert werden. Als Variante ist auch „Am Polizeipräsidium“ in der Diskussion.
- Platz der Befreiung – mit Blick auf die Ereignisse von 1945
- Platz der Demokratie
- Edith-Fürst-Platz – Favorit der Mahn- und Gedenkstätte. Sie erinnert an eine jüdische Düsseldorferin, die trotz vieler Schicksalsschläge und Attacken der Nazis ihren Lebensmut und ihre Hilfsbereitschaft bewahrte. Ihr Fluchtversuch nach Palästina scheiterte 1942 tragisch. Sie fiel den Nazis wieder in die Hände und wurde von diesen ermordet.
- Natalie-Freyberger-Platz – deutsche Jüdin, die am Jürgensplatz gewohnt hat beziehungsweise am Kavallerieplatz, wie er damals noch hieß. Sie wurde nach Theresienstadt deportiert und überlebte den Holocaust.
- Rosa-Luxemburg-, Karl-Liebknecht-, Karl-Marx- oder Eleanor-Marx-Platz – die Helden des linken politischen Spektrums erhielten viele Smileys, mit Mundwinkel in beide Richtungen.
Persönliche Einschätzung
Natürlich kann man die Frage stellen, warum die Debatte so viele Wendungen hatte und ob man nicht besser im Rathaus einfach etwas entschieden hätte. Ich finde nicht. Die Bürger:innen sind ausführlich beteiligt worden und dass dabei nicht nur Beiträge auf dem Niveau einer akademischen Verteidigungsrede zusammenkommen, gehört eben dazu. Ob es uns gefällt oder nicht, die Vorschläge sind ein Spiegel der Gesellschaft.
Ein eindeutiges Ergebnis ist aus der Internetbefragung nicht abzulesen. Wenn die Teilnehmenden uneins sind, dann ist es jetzt am Stadtrat, die Frage zu entscheiden. Bei allem Respekt für die rheinische Lösung der Anwohner:innen und die sehr gute Absicht der Polizeipräsidentin: Die Stadt sollte sich zu ihren Zielen bekennen, mehr Plätze nach Frauen zu benennen und passend zum Ort jemanden wählen, die Opfer des Nationalsozialismus war. So, wie es die Tochter von Klaus Dönecke vorgeschlagen hat.
Nach meiner Wahrnehmung sollte es folglich der Edith-Fürst- oder der Natalie-Freyberger-Platz werden. Ich habe große Sympathie für die Person Edith Fürst, die der Leiter der Mahn- und Gedenkstätte, Bastian Fleermann, in seinen Reden beschrieben hat. Aber der Vorschlag fand in den Beteiligungsrunde wenig Unterstützung. Das wiederum spricht für die Frau, die auch am Jürgensplatz gewohnt hat: Natalie Freyberger.