Sylvia Pantel steuert auf ihre letzte Niederlage zu

Am Freitag (5. April) entscheidet Sylvia Pantel über ihre Zukunft – und das letzte Kapitel ihrer politischen Geschichte. Für diesen Tag ist ein Treffen mit dem Vorsitzenden der Werteunion, Hans-Georg Maaßen, geplant. Nach dem Gespräch entscheidet die 63-Jährige, ob sie sich der neuen Partei anschließt. Alles andere als ein Eintritt wäre eine Überraschung.
Die Voraussetzung für einen Wechsel in die Werteunion hat die frühere Bundestagsabgeordnete jedenfalls schonmal geschaffen. In den vergangenen Monaten und Wochen hat sie nach und nach ihre Posten in CDU-Organisationen aufgegeben, kurz vor Ostern folgte der Austritt aus der Partei, der sie seit 1996 angehörte. In einem Brief an den Vorsitzenden Friedrich Merz erklärte sie ihre Beweggründe.
Die Kurzfassung: die Familien- und Zuwanderungspolitik unter Kanzlerin Angela Merkel, der „Ökodirigismus“ der EU unter Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die Enthaltung der Union bei der Legalisierung von Cannabis und der Umgang mit Hans-Georg Maaßen. „Bei der Abwägung aller Fakten gibt es aber leider für mich kein ,weiter so‘“, lautete der letzte Satz vor dem freundlichen Gruß an den Parteichef.
Der Austritt und voraussichtliche Wechsel erscheinen in einer Hinsicht überraschend. Noch im Januar hatte Sylvia Pantel auf Anfrage der „Welt“ erklärt, ein Wechsel in eine neue Partei stünde „derzeit nicht zur Debatte“. Abgesehen von diesem Zitat erscheint die jüngste Entscheidung aber als Fortsetzung eines Wegs, der die Politikerin über die rechte Grenze der Union hinausführte.
Sie war Sprecherin des „Berliner Kreises“, eines wertkonservativen Netzwerks in der Union, das unter anderem durch die Forderung nach einer Kehrtwende in der Klimapolitik auffiel. Als die Werteunion noch innerhalb der CDU agierte, war sie kein Mitglied, pflegte aber eine eindeutige Nähe zu Organisation, Verein und ihrem Protagonisten Hans-Georg Maaßen, den sie zum Beispiel im Sommer 2019 zu einem Vortrag nach Düsseldorf einlud. Und im vergangenen Juli saß sie bei einem Treffen von CDU- und AfD-Mitgliedern in Hessen auf der Bühne.
Wenn man Sylvia Pantel in drei Worten beschreiben sollte, dann bieten sich konservativ, konsequent und kurzsichtig an. Sie erscheint wie eine Schachspielerin, die in voller Euphorie angreift, wenn sich eine Gelegenheit zu bieten scheint, und nicht merkt, dass sie in wenigen Zügen matt ist. Deshalb gehe ich davon aus, dass der Wechsel zur Werteunion eine weitere und voraussichtlich die letzte Pleite in einer politischen Laufbahn wird, die von einer Reihe Niederlagen bestimmt war:
Partei
Sylvia Pantel begann ihre Karriere in Bezirksvertretung und Stadtrat und stieg zu Beginn der 2010er Jahre weiter auf. Sie wurde Mitglied des Landesvorstands ihrer Partei, stellvertretende Chefin der Düsseldorfer CDU und kam 2013 erstmals in den Bundestag.
Die Partei-Ämter behielt sie allerdings nicht lange. Nach zwei Jahren im Landesvorstand erhielt die Düsseldorferin bei der Wahl der Beisitzer:innen nur 35,9 Prozent der Stimmen und kam nicht erneut ins Gremium. Aus der Spitze der Kreispartei beförderte sie sich in noch stärkerem Maße selbst. Beim Parteitag 2015 wurde der hiesige Vorsitzende Thomas Jarzombek herausgefordert – von Heidrun Leinenbach, die kaum verborgen von Sylvia Pantel unterstützt wurde. Thomas Jarzombek gewann diesen Machtkampf. Als die Partei anschließend über seine Stellvertretung abstimmte, ließ er zwei Kandidaten aus seinem Lager nominieren. Sylvia Pantel erkannte die sichere Niederlage und zog ihre Bewerbung für den Vize-Posten zurück. Sie gab auf, kurz bevor sie Schachmatt war.
Parlament
Den Einzug in den Bundestag 2013 und 2017 schaffte die fünffache Mutter jeweils über das Direktmandat. Dabei kam ihr ein Umstand zur Hilfe: In ihrem Wahlkreis im Düsseldorfer Süden trat auch Sahra Wagenknecht an. Dank ihres Bekanntheitsgrads holte die damalige Vertreterin der Linken ein überdurchschnittliches Ergebnis. Das wiederum kostete den SPD-Kandidaten Andreas Rimkus Stimmen und erleichtere Sylvia Pantel den Sieg.
2021 ging Sahra Wagenknecht nicht noch einmal im Rheinland ins Rennen, Andreas Rimkus steigerte sein Ergebnis und sicherte sich das Direktmandat. Sylvia Pantel hatte sich unter anderem durch wiederholte Konfrontation mit dem früheren Landes- und zu der Zeit amtierenden Bundesvorsitzenden Armin Laschet so viele Gegner:innen gemacht. Auf der Reserveliste der CDU stand sie daher nur auf Platz 40 – und musste deshalb den Bundestag nach acht Jahren verlassen.
Partei und Parlament
Sylvia Pantel hatte stets Laschets Kontrahenten Friedrich Merz unterstützt und konnte ihre Niederlage mit dem unglücklichen Wahlkampf des Aacheners erklären. Deshalb schien es denkbar, dass sie noch einmal für die CDU im Süden der Landeshauptstadt antritt. Diese Option schwand aber zwischen Herbst 2023 und Frühjahr 2024.
Der Bundesvorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel, zog im vergangenen Jahr nach Düsseldorf. Spätestens, als er häufiger bei lokalen Ereignissen auftauchte, zum Beispiel bei der Rosenmontagsfeier im Rathaus, war klar, dass er in seiner neuen Heimat ein ernster Bewerber für eine der beiden Bundestags-Kandidaturen wird (mehr dazu lesen Sie in meinem Bericht zum Thema). Sylvia Pantel verlor, noch bevor das Rennen eröffnet war.
Als eine der Ursachen dafür erscheint ihre Arbeit nach dem Abschied aus dem Bundestag. Sylvia Pantel ist seitdem Geschäftsführerin der Stiftung für Familienwerte und betreibt im Zuge dessen die Internetseite „Lust auf Familie“. Dort vertritt sie Positionen, für die die Silbe „erz-“ vor konservativ erfunden wurde: Sie beschränkt ihr Familienbild auf heterosexuelle Paare mit Kindern, verknüpft Bemühungen um Vielfalt mit sexuellem Missbrauch und stellt die Legitimation der Weltgesundheitsorganisation WHO in Frage.
All das sind Thesen, die in der CDU nicht mehrheitsfähig sind. Insofern ist ihr Austritt konsequent und ein Wechsel zur Werteunion wäre es auch. Dass sie so auf ihre letzte politische Niederlage zusteuert, hängt nach meiner Einschätzung damit zusammen, dass ich nicht mit größeren Erfolgen der Werteunion rechne. Eine Parteigründung erfordert mindestens dreierlei: Geld, einen charismatischen Repräsentanten und eine einigermaßen geschlossene Bewegung. Die Werteunion erfüllt aber nur die finanzielle Voraussetzung.
Die im Februar gegründete Partei kann offenbar mit ausreichend Spenden und anderen Formen der Unterstützung rechnen. Das zeigen Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung. Danach haben Hans-Georg Maaßen und die Werteunion im Juli 2023 bei Gloria von Thurn und Taxis auf Schloss Emmeram in Regensburg eine Spendengala veranstaltet. Ziel war es, Geld für die juristischen Auseinandersetzungen zwischen dem Werteunionsvorsitzenden und der CDU zu sammeln. Und dieses sechsstellige Ziel soll locker erreicht worden sein, heißt es im Bericht.
Die Popularität bei den Gästen der Gala lässt sich aber nicht auf die Wählerinnen und Wähler übertragen. Hans-Georg Maaßen ist in den Medien ein bekannter Mann. Anders als Sahra Wagenknecht (BSW) oder Hubert Aiwanger (Freie Wähler) ist er aber in weiten Teilen der Bevölkerung nicht bekannt oder populär.
Erschwerend hinzu kommt, dass es in der noch jungen Partei bereits Streitigkeiten und Austritte gibt. Die Werteunion gibt kein geschlossenes Bild ab, Wechsel in der Ausrichtung scheinen möglich, was unter anderem in der Frage von Nähe und Distanz zur AfD relevant wird. Dies geschieht in einer Situation, in der die Werteunion mit den Freien Wählern einen nennenswerten Konkurrenten für das Feld rechts der CDU hat.
Die neue Partei wird nicht zur Europawahl im Juni antreten, möchte aber bei den Abstimmungen in drei ostdeutschen Bundesländern im Herbst dabei sein und nächstes Jahr bei der Bundestagswahl. Aus den genannten Gründen erscheint es für mich unrealistisch, dass die Werteunion 2025 mindestens fünf Prozent der Stimmen holt. Sylvia Pantel würde als hiesige Kandidatin zwar noch einmal eine größere Öffentlichkeit genießen, aber für eine Rückkehr ins Parlament reicht es sehr wahrscheinlich nicht. Ihr Ergebnis wird weit von den Werten entfernt sein, sie sie bisher kannte. Sie braucht zwingend einen Einzug über die Landesliste und damit zwingend eine Partei mit fünf Prozent.
Ein kleiner Triumpf ist aber auch in der letzten Niederlage möglich. Sylvia Pantel wird ihrer früheren Partei im Düsseldorfer Süden sicher Stimmen abnehmen – unter Umständen so viele, dass sie für einen umgekehrten Wagenknecht-Effekt sorgt.
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