Stephan Keller: Ich – einfach unverbesserlich

Die Auswertung ist eindeutig: Als Stephan Keller 2021 den Vorschlag für den städtischen Haushalt einbrachte, verwendete er in seiner Rede 27-mal das Wort Ich. Ein Jahr später waren es 31 Ichs und in diesem Jahr 35. Während der Etat deutlich ins Minus rutschte, verzeichneten die drei Buchstaben I, C und H ein Plus von knapp 30 Prozent. So wie im Stadtrat zeigte sich die ausgeprägte Freude des Oberbürgermeisters an der rhetorischen Beschäftigung mit sich selbst auch an anderer Stelle:
Verabschiedung der Sparkassenchefin
Die Vorstandsvorsitzende der Stadtsparkasse, Karin-Brigitte Göbel, ist in den Ruhestand gegangen und hat ihren Abschied im Restaurant Dr. Thompson’s gefeiert. Solche Abende sind keine Feste der Redekunst. Die Menschen auf der Bühne bemühen in der Regel eine Anekdote von der ersten Begegnung, scherzen über eine Eigenart der zu verabschiedenden Person oder loben sie an der Oberfläche (bei Frauen wird in diesem Zusammenhang sehr gerne genommen: Empathie).
Stephan Kellers Ansprache fiel grundsätzlich auch in diese Kategorie, unterschied sich aber bei genauem Hinhören dann doch. Der Oberbürgermeister zählte vermeintlich Punkte aus dem Lebenslauf von Karin-Brigitte Göbel auf – nannte sie aber immer zusammen mit seinen eigenen Stationen. Und die kamen zuerst: „Als ich dann 2017 nach Köln wechselte, wurden Sie …“
Bilanz in eigener Sache
Als Stephan Keller zu einer Pressekonferenz einlud, um über die zurückliegenden drei Jahre seiner Amtszeit und die nächsten zwei bis zur Wahl zu sprechen, da tat er das in einem früher bei ihm kaum vorstellbaren Rahmen. Statt einen Sitzungssaal zu wählen und seinen Vortrag mit Zahlen oder Grafiken zu untermauern, wählte er den MTV-Club im Dome. Und er stand auch nicht an einem Rednerpult oder saß hinter einem Tisch, sondern in einem Sessel. Auf der Videoleinwand hinter ihm loderte ein Kaminfeuer.
Das alles war sorgfältig orchestriert und sendete eine klare Botschaft: Ich bin entspannt, von mir und meiner Leistung überzeugt und kann das auch locker kommunizieren. Das tat er denn auch und brauchte offenbar nur eine Liste von Stichworten auf dem Bildschirm seines iPad vor sich. So erschien kein Satz einstudiert und langweilig, die Rede wirkte lebendig und dadurch glaubwürdiger.
Das Wort Ich benutzte der Oberbürgermeister in der Rede 48-mal.
Was dahinter steckt
Nach unseren Beobachtungen gibt es zwei Gründe dafür, dass der Oberbürgermeister mehr von sich spricht als früher:
1. Gewachsenes Selbstbewusstsein
Zu Beginn seiner Amtszeit verfolgte der Oberbürgermeister eine einfache Taktik: keine Fehler machen. Bei seinen beiden Vorgängern Dirk Elbers und Thomas Geisel konnte Stephan Keller beobachten, wie die Wählerinnen und Wähler strafen. Dirk Elbers legte sich öffentlich mit der Feuerwehr an, erklärte, im Ruhrgebiet wolle er nicht tot über dem Zaun hängen, und reagierte zögerlich, als der Sturm „Ela“ die Stadt traf. Thomas Geisel verband sich mit einem Pop-up-Radweg (obwohl nicht er, sondern der Verkehrsausschuss ihn beschlossen hatte), trat vehement für die Umweltspuren ein und drehte ein Video mit dem umstrittenen Rapper Farid Bang.
Die Lehre aus diesen Fällen: Unabhängig von positiven Leistungen bleiben in Düsseldorf offenbar vor allem die schlechten Momente hängen und verursachen eine Wechselstimmung. Wer also wiedergewählt werden möchte, sollte vor allem keine Fehler machen. Dieser Linie blieb Stephan Keller lange treu. Er riskierte wenig, mied heikle Themen oder Termine und verwaltete die Stadt solide.
Im Sommer dieses Jahres bewegte er sich am Rande einer Abstimmungsniederlage, als die Grünen die neue Oper nicht mehr wollten. Er pokerte für seine Verhältnisse hoch (hier nachzulesen) und schaffte es, die SPD zu einem Ja zu bewegen und der Oper eine Mehrheit im Stadtrat zu verschaffen.
Diese gesteigerte Risikobereitschaft war schon ein Zeichen gewachsenen Selbstbewusstseins. Man sieht es noch auf andere Weise. Während andere Oberbürgermeister und Regierende in der zweiten Hälfte einer Legislaturperiode oft amtsmüde wirken, ist davon bei Stephan Keller nichts zu merken. Es scheint vielmehr, als sei er in der Rolle angekommen und dank der Erfahrung der ersten drei Jahre souveräner.
Ein Beispiel: Im Karneval bewegte sich der Oberbürgermeister anfangs bevorzugt an der Seite von Bürgermeister Josef Hinkel, für den das Brauchtum ein Heimspiel ist. Mittlerweile gehen die beiden häufiger getrennte Wege. Beim Hoppeditz-Erwachen am 11.11. dieses Jahres präsentierte sich Stephan Keller auf dem Rathausbalkon jovial, mit offener Körpersprache und als sei dies seine 25. Sessionseröffnung.
2. Kommunikation mit Blick auf die OB-Wahl 2025
Von seinem Vorgänger Thomas Geisel lernte Stephan Keller noch eine zweite Lektion. Neben dem Vermeiden von Fehlern ist es wichtig, sich eng an Erfolge binden. Der Sozialdemokrat ging davon aus, dass die Menschen wüssten, wie viele hundert Millionen Euro die Stadt unter seiner Führung in den Schulbau investierte, dass man Standort der Fußball-Europameisterschaft wurde und die Flüchtlingspolitik deutlich verbesserte. In dieser Annahme irrte Thomas Geisel, wie er am Wahlabend lernte.
Für den heutigen Oberbürgermeister bedeutet das: Immer wieder betonen, dass er eine Idee gehabt, ein Programm auf den Weg gebracht und eine Entscheidung getroffen hat. Solche selbstattestierten Erfolge kann man angesichts der heutigen Informationsflut gar nicht oft genug wiederholen, damit zumindest ein Teil davon bei den Wählerinnen und Wählern hängenbleibt. Das beste Beispiel dafür ist die neue Wohnungspolitik, die die SPD dem OB aufgenötigt hat, die er aber umgehend als seine „Offensive“ präsentierte.
Je näher die Kommunalwahl 2025 rückt, desto wichtiger und intensiver wird diese Strategie. Bei seiner Bilanz-Pressekonferenz in eigener Sache fiel noch etwas auf: Etwa so oft wie das Ich kam das Wort Wir in der Rede vor. Der Oberbürgermeister erwähnte eine nicht näher umschriebene Mannschaft im Hintergrund. Das macht einen souveränen, teamfähigen Eindruck, schmälert aber keineswegs die Kernbotschaft: Ich, Stephan Keller, bin der Mann, auf den es ankommt. Oder: Wo ich bin, ist vorne.