Hendrik Wüst verliert eine wichtige Wahl

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann aus Niedersachsen ist neue Bundesvorsitzende der Mittelstandsvereinigung ihrer Partei. Die Anwältin holte im zweiten Wahlgang 252 und damit 59 Prozent der abgegebenen Stimmen. Das ist auch und gerade für Düsseldorf eine wichtige Nachricht: Connemanns Gegenkandidat war der Düsseldorfer CDU-Chef Thomas Jarzombek. Er holte in der Stichwahl 175 Stimmen (41 Prozent). Verloren hat damit auch einer, der gar nicht zur Wahl stand: NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst.
Warum war diese Wahl wichtig für Wüst?
Der 46-Jährige wurde erst vor wenigen Wochen als Nachfolger von Armin Laschet zum NRW-Ministerpräsidenten gewählt und hat nur bis zum Wahltag Mitte Mai Zeit, sich als Landesvater zu etablieren und seine Partei zum Sieg zu führen. Ob er das schafft, ist keineswegs klar, die Umfragen sprechen im Moment gegen ihn.
Wüst weiß das und nicht zuletzt deshalb versucht er derzeit, seine Vertrauten an wichtigen Stellen in der CDU zu installieren – so wie jetzt beim Vorsitz der CDU-Mittels- und Wirtschaftsunion (MIT). Hätte er dort jemanden aus Nordrhein-Westfalen platziert, wäre das im kommenden Wahlkampf auf nationaler Ebene hilfreicher als jetzt mit einer Vorsitzenden aus Niedersachsen.
Was ist die MIT?
Bei den meisten Menschen des Landes dürfte dieser Verband kaum bekannt sein. Innerhalb der Union ist er allerdings eine mächtige Gruppierung, in der man versucht, die ökonomische Kompetenz von CDU und CSU zu zeigen. Sie ist mit rund 25.000 Mitgliedern der größte parteipolitische Wirtschaftsverband in Deutschland.
Der jetzt scheidende Chef, Carsten Linnemann, hat sich nicht zuletzt mit dieser Gruppe und der dort zementierten Hausmacht für neue Jobs ganz oben in der Partei ins Rennen gebracht. Es gab sogar Christdemokraten, die dem jungenhaft wirkenden 44-Jährigen zutrauten, die Führung der Partei zu übernehmen. Dafür kandidierte er (noch) nicht, würde aber unter einem CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz voraussichtlich eine wichtige Rolle übernehmen. Auch deshalb gab er sein Amt als MIT-Vorsitzender nun auf.
Warum hat Wüst auf Thomas Jarzombek gesetzt?
Hendrik Wüst und Thomas Jarzombek kennen sich seit vielen Jahren, wie so oft in Parteien wie der CDU ist die Bindung in Zeiten der Jungen Union (JU) gewachsen. Jarzombek ist nach offizieller Lesart Digitalexperte und war zu diesem Thema Beauftragter der vorherigen Bundesregierung. Dass Jarzombek nach oben strebt, ist bekannt, allerdings war er bisher wenig erfolgreich. Zuletzt hatte er gehofft, Staatsminister für Digitales im Wirtschaftsministerium zu werden. Den Job bekam dann aber die CSU-Politikerin Dorothee Bär.
Also bewarb sich Jarzombek, mit der Unterstützung von Hendrik Wüst, um den MIT-Vorsitz. In der Partei wird erzählt, Wüst habe reichlich Telefonate geführt, um seinen Kandidaten durchzusetzen. Vergeblich, wie sich am Samstag zeigte. Die Kandidatin aus Niedersachsen gewann deutlich.
Wenn die MIT ihre unternehmerische Kompetenz hervorhebt, scheint Jarzombek eher bedingt geeignet: Der 48-Jährige bezeichnet sich als früherer Unternehmer. Das jedoch wird CDU-intern von einigen eher belächelt. Denn seine Firma Releon hatte bei seinem Ausscheiden als Geschäftsführer 2013 eine Bilanzsumme von etwas mehr als 30.000 Euro. Heute ist er noch Gesellschafter des Unternehmens, das inzwischen rund 440.000 Euro mit IT-Dienstleistungen bilanziert.
Wieso entschied sich die MIT für Gitta Connemann?
Die Gründe sind vielfältig. Es mag eine Rolle gespielt haben, dass die Christdemokraten nach der verlorenen Wahl mit dem Nordrhein-Westfalen Armin Laschet und einem möglichen neuen Parteivorsitzenden aus diesem Bundesland (Norbert Röttgen oder Friedrich Merz) nicht eine weitere Top-Position mit einer Person aus NRW besetzten wollten. Zudem bevorzugt die MIT offen den Sauerländer Friedrich Merz für den CDU-Vorsitz – ein Grund mehr, aus Proporzgründen ein Mitglied aus einem anderen Bundesland und eine Frau zu küren.
Warum wollte Jarzombek den Posten?
Für Jarzombek wäre der MIT-Vorsitz eine wichtige Absicherung seiner Berliner Karriere gewesen. Er hat zwar den nördlichen Düsseldorfer Bundestagswahlkreis zuletzt erneut direkt gewonnen, aber die bis dato völlig unbekannte SPD-Kandidatin Zanda Martens kam bis auf 8,7 Prozentpunkte an ihn heran. Sollte sich dieser Trend pro SPD und pro Grüne fortsetzen, könnte Jarzombek bei der nächsten Wahl zum Verlierer werden. Außerdem besteht das Risiko, dass er von seiner Partei in diesem Wahlkreis nicht wieder als Direktkandidat aufgestellt wird. Ein sicherer Listenplatz wäre für den Berufspolitiker beruhigend und den hätte ihm ein Verband wie die MIT verschaffen können.
Wer war der dritte Kandidat bei der MIT-Wahl?
Das war der Unternehmer Andreas Ritzenhoff (65) aus dem hessischen Marburg, an den Jarzombek etliche Stimmen verloren haben dürfte. Der hat sich in letzter Minute um den MIT-Vorsitz beworben und holte im ersten Wahlgang immerhin 59 Stimmen.
Er ist Inhaber eines Unternehmens (650 Mitarbeiter, Jahresumsatz: 82 Millionen Euro) und approbierter Arzt. In dieser Funktion war er zuletzt vor 30 Jahren an der Universitätsklinik Düsseldorf tätig, bevor sein Vater ihn bat, den elterlichen Betrieb in Marburg zu übernehmen, die Seidel GmbH, die Designverpackung produziert und weltweit vermarktet. In vielen Gesprächen haben CDU-Funktionäre zuletzt versucht, Ritzenhoff von seiner Kandidatur abzubringen, berichtet er Parteifreunden. Er trat dennoch an.
Wie geht es weiter?
Demnächst steht erneut eine Personalie an, bei der Hendrik Wüst Einfluss nehmen will: Der Vorsitz des MIT-Landesverbandes NRW steht zur Wahl. Dieses Amt hat er zurzeit selbst, aber als Ministerpräsident geht das nicht mehr. Seine Wunschkandidatin ist laut „Handelsblatt“ die CDU-Landtagsabgeordnete Angela Erwin. Für sie wäre das Amt ebenfalls ein Geschenk: Zur Landtagswahl tritt sie in einem Düsseldorfer Wahlkreis an, der – aus CDU-Sicht – mächtig wackelt, vielleicht sogar an die Grünen geht. Da wäre der MIT-Vorsitz auf Landesebene gut, wenn die Listenplätze für die Wahl im Mai vergeben werden. Auf Bundesebene hat Angela Erwin es geschafft, wieder in den Vorstand der MIT gewählt zu werden, verkündete sie jetzt auf Facebook. Dort ist sie Beisitzerin im Bundesvorstand, übrigens gemeinsam mit Thomas Jarzombek.
Wieso fördert Wüst Angela Erwin?
Auch Angela Erwin kennt er aus JU-Tagen. Die beiden waren sich einst persönlich sehr nahe: Im Jahr 2013 waren sie ein Paar, Wüst war damals bereits Landtagsabgeordneter und kurz zuvor als Generalsekretär der NRW-CDU zurückgetreten. Die Trennung etliche Zeit später ging geräuschlos über die Bühne. Heute sind beide mit anderen Partnern verheiratet.
Bereits 2017 folgte sie ihm politisch: Damals war sie rechtspolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion und wurde zur neuen Vorsitzenden des Parlamentskreises Mittelstand (PKM) gewählt. Hendrik Wüst hatte das Amt vorher und gab es ab, als er im Kabinett der schwarz-gelben Landesregierung unter Armin Laschet das Amt des Verkehrsministers übernahm. Der PKM ist innerhalb der CDU-Landtagsfraktion Sprachrohr des Mittelstands, der Wirtschaft, des Handwerks und der Freien Berufe. Derzeit gehören zur PKM 43 der 72 Abgeordneten im Düsseldorfer Landtag.
Angela Erwin ist die Tochter des 2008 verstorbenen Düsseldorfer Oberbürgermeisters Joachim Erwin. Die Anwältin ist auch in der eigenen Partei nicht unumstritten, ihre Befürworter bescheinigen ihr den politischen Willen und die Durchsetzungskraft des Vaters. Bisher hat sie es geschafft, eher im Hintergrund zu agieren. Eine Bewerbung um das Düsseldorfer Amt des Oberbürgermeisters zur Kommunalwahl 2020 hat sie angeblich erwogen, aber nach Beratung mit Vertrauten nicht abgegeben – auch aus Altersgründen („Du bist noch zu jung und hast Zeit“) und womöglich wegen ihres dreijährigen Sohns. Wüst hat Erwin seinerzeit im Wahlkampf um ihr Landtagsmandat unterstützt, als er bei einem Fundraising-Dinner in einem kleinen Raum der Rheinterrasse vor einer geladenen Gästescharf als Redner auftrat.
Weiterführender Link
Ein Video der MIT-Wahl gibt es hier zu sehen.