Eurofighterin gegen Straßenkämpfer – Zwei Düsseldorfer im Fernduell um Europa

Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Thomas Geisel kandidieren auf aussichtsreichen Plätzen fürs Europaparlament. Der Wahlkampf der beiden könnte aber verschiedener kaum sein: Er kämpft um Bekanntheit, sie provoziert – bis hin zu einem umstrittenen Kleidungsstück.
Veröffentlicht am 29. Mai 2024
Europawahl
Marie-Agnes Strack-Zimmermann setzt auf Großflächen (hier eine beschmierte Version eines Trenchcoat-Motivs), Thomas Geisel auf viele kleine Plakate. Fotomontage: Andreas Endermann

Einmal treffen sie sich doch. Die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung hat zu einer Diskussion zur Europawahl ins Zeitgeschichtliche Forum nach Leipzig eingeladen. Die SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley ist dort, Linken-Parteichef Martin Schirdewan und eben zwei Düsseldorfer: Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Thomas Geisel (Bündnis Sahra Wagenknecht, BSW).

Insgesamt sitzen acht Politikerinnen und Politiker an den Tischen rechts und links, gelegentlich bitten die Moderatoren zwei von ihnen zu einem Thema in die Mitte. So auch Strack-Zimmermann und Geisel. „Welch originelles Duo“, sagt sie. Die Liberale argumentiert für Waffenlieferungen an die Ukraine, anschließend plädiert der ehemalige Sozialdemokrat für Waffenstillstand und Verhandlungen. Beide sprechen nach vorne zum Publikum.

Während der weiteren Debatte erwähnt Strack-Zimmermann Geisel lediglich noch einmal – in einem Nebensatz. Im Übrigen gleicht der Abend den vergangenen Wochen: Er zeigt zwei Düsseldorfer im Fernduell. So unterschiedlich wie die beiden Personen ist auch ihr Wahlkampf.

Die Eurofighterin
Marie-Agnes Strack-Zimmermann, von Freunden wie Gegnern aus Gründen sprachlicher Sparsamkeit bisweilen StraZi genannt, spielt mit ihren Eigenarten. Die werden von der einen Seite bejubelt, von der anderen verdammt. Offenbar hat die Frau sich entschieden, nicht auf ein glatt gebügeltes Image zu setzen, sondern zu provozieren. Daher blickt sie vorrangig von Großplakaten, in Schwarz-Weiß und kein einziges Mal freundlich oder gar lachend. Der Blick ist ernst, eindringlich, die Kamera spart keine Falte aus. Die Botschaft: Ich mache keinem etwas vor, rede nicht drumherum, die Lage ist ernst. Und in einer solchen Lage hilft: klare Kante.

Also lauten ihre Slogans „Es ist nicht egal. Es ist Europa!“, „Frieden braucht Verteidigung“ oder „Wohlstand braucht ein Wirtschaftswachstum“. Mit Anspielung auf den Spruch eines SPD-Politikers nach ihrer wiederholten Kritik an Kanzler Olaf Scholz („Boah eh, die Alte nervt“) plakatiert sie auch „Ich werde nerven, bis sich was ändert“.

Die Liberale und ihre Partei investieren offensichtlich viel in den Wahlkampf. Immer wieder neue Slogans und Motive – das bedeutet, dass immer wieder neu gedruckt und gehängt werden muss. Da Strack-Zimmermann vor allem auf Großplakate setzt, ist das besonders teuer. Zwei Wochen vor der Wahl geht die Kandidatin zum Frontalangriff auf die EU-Kommissionspräsidentin über. Auf den Plakaten, die seit dem 24. Mai zu sehen sind, steht „Weniger von der Leyen, mehr von der Freiheit“.

Wer auch immer diese Sprüche erfunden hat, wusste um die Macht der Sätze aus wenigen Wörtern. Sie werden von jedem verstanden. Allerdings höchst unterschiedlich, wie zahllose Kommentare auf verschiedenen Plattformen zeigen.

Strack-Zimmermann polarisiert – und kommuniziert auch über ihre Kleidung. Geht es um Wirtschaft, trägt sie eine brav-bürgerliche Bluse inklusive geschlossenem oberen Kragenknopf. Wenn es um Verteidigung geht, ist es ein Trenchcoat. Der Kragen des Mantels ist hochgeschlagen, Gegenwind also kein Problem. Dass die Wahl zufällig auf einen Trenchcoat fiel, darf getrost ausgeschlossen werden.

Natürlich wissen die Liberale und ihr Team, dass der Begriff „Trench“ für „Graben“ steht – und zwar jene Gräben, die im Ersten Weltkrieg eine Rolle spielten, weil die Soldaten aller Seiten dort Schutz suchten. Der damals von britischen Soldaten getragene Mantel heißt seitdem „Trenchcoat“. Später setzte sich das Kleidungsstück immer dann durch, wenn das Wetter ziemlich mies war. Filmstars wie Humphrey Bogart haben den Mantel berühmt gemacht. In den 1970er Jahren fanden junge Frauen es schick, ihn wadenlang zu Mini-Röcken zu tragen.

Wie auch immer die Botschaft gedacht war – sie ist angekommen. StraZi-Gegner, die ihr Kriegstreiberei vorwerfen, sehen das Kleidungsstück als Bestätigung, als Teil einer pro-militärischen Haltung und geißeln sie dafür in epischer Breite auf Instagram und Facebook.

Der Straßenkämpfer
Man kann Thomas Geisel nicht nicht bemerken. Er steht auf dem Bürgersteig an der Nordstraße dort, wo alle vorbeimüssen, und er spricht die meisten Menschen an, als wären sie schwerhörig. „Darf ich Ihnen etwas in die Hand drücken?“, fragt er und hält einen Flyer und eine Packung Taschentücher bereit.

Der frühere Oberbürgermeister macht an diesem vernieselten Samstagvormittag Wahlkampf in dem Stadtteil, in dem er wohnt. Links von ihm haben die Grünen aufgebaut, rechts die FDP. „Wo ist eigentlich die SPD?“, fragt jemand. Die Mitglieder von Geisels ehemaliger Partei kommen schon seit einigen Wochen nicht mehr an diese Stelle, erzählt ein Helfer am Stand.

Der Mann, der im Januar zum BSW gewechselt ist, hat im Moment zwei Aufgaben zugleich: Er versucht, Stimmen für die Wahl am 9. Juni zu gewinnen und eine Partei mitaufzubauen. Das bedeutet fließenden Wechsel zwischen Ständen am Straßenrand, größeren Kundgebungen und Runden, in denen man die organisatorischen Fragen klärt, die es zu klären gibt, wenn man sich erst vor wenigen Monaten gegründet hat. So war Thomas Geisel vor diesem Samstag bei Unterstützer-Treffen in Thüringen und Sachsen, nach einer guten Stunde an der Nordstraße fährt er weiter zu BSW-Veranstaltungen in Mannheim und Stuttgart.

Für den 60-Jährigen und seine Mitstreiter kommt es vor allem darauf an, so viele Menschen wie möglich mit der Nachricht zu erreichen, dass es sie überhaupt gibt. „Liste 28“, sagt Geisel an diesem Vormittag regelmäßig, damit die Menschen wissen, wo sie das BSW auf dem Wahlzettel finden.

Anders als Marie-Agnes Strack-Zimmermann setzt er nicht auf Großplakate, sondern auf möglichst viele kleine. Rund 700 sind es im Stadtgebiet, sagt er. Und 100 sollen in den letzten Tagen vor der Wahl nochmal hinzukommen. Anders als die FDP-Kandidatin ist er auch regelmäßig im Straßenwahlkampf an den Ständen – insbesondere in dem Großraum, in dem man ihn als ehemaligen Düsseldorfer OB kennen könnte. In den vergangenen Wochen war er unter anderem in Krefeld, in Mönchengladbach und Hagen.

Die Reaktionen in Düsseldorf auf die Frage, ob er ihnen etwas in die Hand drücken darf, reichen von Kopf runter und „Nee, danke“ über „Na gut“ bis zum Small Talk. „Ja, ich bin es“, sagt Thomas Geisel, wenn die Menschen stehen bleiben und ihn fragend angucken. Beschimpfungen hört er keine. Eine junge Wählerin fragt ihn, warum er „zur Wagenknecht“ gewechselt ist. Nach den Erklärungen sagt sie „Dann wünsche ich Ihnen alles Gute“.

Man sieht dem BSW an der Nordstraße nicht an, dass dies der erste Wahlkampf ist und man erst vor kurzem bei Null angefangen hat. Thomas Geisel ist mit einem halben Dutzend Helferinnen und Helfer dort. Der Tisch des Standes und der Bollerwagen dahinter sind gut mit Taschentuchpackungen gefüllt. Für besondere Herausforderungen gibt es Schokoriegel und Seifenblasen.

Der Kandidat von Listenplatz zwei des BSW erscheint taktisch flexibel. Mal reicht er nur Tempos, auf denen Bündnis Sahra Wagenknecht steht, mal fragt er „Für Sie ein paar Informationen zur Europawahl?“. Sagt jemand „Ich hab‘ schon gewählt“, ruft Geisel, man könne den Flyer doch für die Nachbarn mitnehmen. Dauert ein Smalltalk etwa länger, verteilt er trotzdem vielarmig an die Vorbeilaufenden. Dauert ein Gespräch richtig lange, erhöht er die Lautstärke, sagt „So“ und geht wieder auf seinen Lieblingsplatz, wo alle an ihm vorbeimüssen.

Fazit
Der Abend des 9. Juni könnte ein interessantes Wahlergebnis mit sich bringen: In Düsseldorf könnte die FDP vor dem BSW landen, also Strack-Zimmermann vor Geisel. Auf Bundesebene könnte das Bündnis Sahra Wagenknecht hingegen mehr Stimmen holen als die Liberalen. Je nach Betrachtung könnten die beiden sich dann als Gewinner oder Verlierer der Europawahl sehen. Wir haben eine Ahnung, zu welcher Version beide neigen.

So oder so: Da es keine Fünf-Prozent-Hürde gibt, werden beide angesichts ihrer Listenplätze sehr wahrscheinlich ins EU-Parlament einziehen. Noch sicherer ist nur, dass beide anschließend keine Fahrgemeinschaft gründen.

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