Altstadt: Mehr Sicherheit nur mit weniger Toleranz

Das so genannte Sicherheitskonzept, das Oberbürgermeister Stephan Keller (CDU) kürzlich für die Altstadt vorstellte, bekämpft Symptome, löst aber keine Probleme. Hier die Schwachpunkte – und Lösungsvorschläge.
Veröffentlicht am 21. Oktober 2021
1. Abend Ausgangssperre aufgrund der Inzidenzwerte in Duesseldorf
Mitarbeiter des OSD und Polizisten beim gemeinsamen Einsatz am Burgplatz in der Altstadt. Foto: Andreas Endermann

Vorab eine Lageeinschätzung, gestützt durch Aussagen mehrerer Wirte aus unterschiedlichen Bereichen der Altstadt:

1. Wer in der Altstadt seit Jahren arbeitet, kennt die problematischen Areale. Das sind der Bolker Stern (Bolkerstraße, Ecke Hunsrückenstraße), Teile der Andreasstraße und vor allem der Burgplatz und das benachbarte Rheinufer. Sie gelten als heikel, weil es dort, so ein Gastronom, kaum „soziale Kontrolle“ durch benachbarte Bars oder Kneipen gibt, sondern Freiräume entstanden sind, in denen es immer wieder zu Gewalt und Krawallen kommt. Neuerdings gehören auch das Mannesmannufer und die Straßen dahinter rund um das Stadtmuseum zu den betroffenen Bereichen, haben mir Anwohner berichtet und belegen das mit Videos.

2. Andere Ecken wie die Ratinger Straße, Kasematten und Uerige-Terrasse sind vergleichsweise unauffällig, da dort ein anderes Publikum unterwegs ist. Verallgemeinernd die Altstadt als Problemviertel zu bezeichnen, ist also falsch.

3. Der Ordnungs- und Servicedienst der Stadt, kurz OSD genannt, wird von den Wirten sehr kritisch gesehen, manchmal belächelt. „Die gehen nicht dahin, wo es wehtut, denn sie haben selbst Angst, sich mit den dort feiernden Typen anzulegen“ war eine zentrale Aussage. Lieber kontrolliere man das Einhalten von Corona-Regeln oder anderer Vorschriften. Der OSD müsste viel früher eingreifen, wenn Situationen erkennbar vor der Eskalation stehen, wage das aber oft nicht – oder dürfe es nicht. Dass OSD-Mitarbeiter oft in Gruppen auftreten, wird von manchen Wirten als Beweis dafür gesehen, wie ängstlich man in Wahrheit ist. Fazit eines Wirtes: „Die trauen sich nicht!“ Daher hält er viele von ihnen für ungeeignet, nicht zuletzt auch, weil etliche Mitarbeiter dieser städtischen Truppe schlicht zu alt seien.

4. Die unterschiedlichen Kompetenzen sind für Laien schwer zu durchschauen. Der OSD ist eine Abteilung des städtischen Ordnungsamtes und wird tätig, wenn es sich um so genannte Ordnungswidrigkeiten handelt – das sind Verstöße (zum Beispiel gegen Corona-Regeln oder Wildpinkeln), die unterhalb „echter“ Straftaten liegen. Solche Ordnungswidrigkeiten zu verfolgen, ist daher nicht Sache der Polizei, und sie greift daher auch nicht ein. Polizisten und Polizistinnen sind erst dann gefordert, und zwar vom Gesetz vorgeschrieben, wenn es zu Gewalttaten kommt. Diese Unterschiede sind nach außen schwer vermittelbar, aber durch entsprechende Gesetze klar geregelt und abgegrenzt. Das macht die Praxis kompliziert, weil die Beteiligten sich an die engen Vorschriften halten müssen. Um das zu ändern, müsste bestehendes Recht neu formuliert werden, mindestens auf Landesebene.

5. Es gibt in der Altstadt Dutzende Kioske, deren exakte Klassifizierung schwierig ist. Sind es Einzelhandelsbetriebe oder gastronomische Einrichtungen? Jedenfalls sind sie die Ursache erheblicher Probleme, weil sie vor allem vom Verkauf von Alkohol leben. Das zu unterbinden ist kaum machbar, denn es gilt der Grundsatz der Gewerbefreiheit. Es wäre jedoch möglich, gegen diese Läden vorzugehen, wenn die Stadt mit Hilfe der Landesregierung das Recht erhielte, die Altstadt zur schützenswerten Sonderzone zu erklären. Damit könnte sie Einfluss nehmen auf den Betrieb der „Büdchen“. Die sind vor Jahrzehnten erlaubt worden, weil man eine Versorgung der Menschen auch außerhalb der damals streng reglementierten Ladenöffnungszeiten gewährleisten wollte. Heute hat sich die Funktion erledigt.

Das von der Rathausspitze vorgelegte neue Sicherheitskonzept bietet für die gerade genannten Probleme keine Lösungen. Stattdessen beinhaltet es folgende Themen. Ich zähle sie auf und ordne sie ein.

1. Ausleuchtung Rheinufer: Die Stadt stellt neben der Kniebrücke mobile Leuchtmasten auf.
Mehr Licht ist eine gute Idee, und man sollte prüfen, ob es dauerhaft und flächendeckend umgesetzt werden kann. Damit ließen sich Angsträume minimieren, man könnte zudem diskrete Ecken für Wildpinkler beseitigen. Sobald jedoch die mobilen Lichtmasten in der Nähe von Wohnhäusern eingesetzt würden, dürfte es Ärger mit Anwohnern geben, denen das grelle Licht kaum gefallen wird.

Bewertung: Am Burgplatz und an der dortigen Freitreppe hat sich das Konzept schon bewährt und gezeigt, grelles Licht macht solche Plätze unattraktiv. Die Idee der Vergrämung ist einen Versuch wert.

2. Schranke Mannesmannufer gegen Autoposer
Diese Sperre bekämpft Symptome und löst das Problem der Autoraser und -poser nicht. Im Grunde ist die Schranke ein Symbol für das Versagen der Behörden, weil sie es nicht geschafft haben, durch entsprechende Vorschriften diese Szene grundsätzlich abzuschrecken. Außerdem: Wer am Mannesmannufer künftig nicht mehr durchkommt, sucht andere Routen für seinen Auftritt. Das Problem verlagert sich also lediglich.

Bewertung: Drastische Strafen schrecken ab, wenn sie bis an die Grenzen des Möglichen gehen, zum Beispiel durch die Ausweitung des Bußgeldkatalogs. Bei Gefährdung unbeteiligter Menschen muss eine Pkw-Sicherstellung möglich sein – einem Straftäter nimmt man auch die Waffe ab. Da viele andere Großstädte ähnliche Probleme haben, ist eine Kooperation mit anderen Kommunen ein Weg, auch auf Landesebene Hilfe zu bekommen. Zum Beispiel über einen Vorstoß beim Städtetag mit dem Ziel, den Bußgeldkatalog entsprechend zu ergänzen (Punkte, Führerscheinentzug). Köln hat zum Beispiel das gleiche Problem und setzt unter anderem gezielt Fahrradstreifen der Polizei gegen die PS-Protzer ein. Das klingt kurios, ist aber im dichten Innenstadtverkehr sehr effizient. Auf jeden Fall ist das Problem punktuell und auf sanfte Tour nicht lösbar, sondern nur mit härteren Strafen. Die müssen da treffen, wo es schmerzt: Portemonnaie, Punkte, Führerscheinentzug. Auch wenn es manchmal nicht so scheint: Geldstrafen sind durchaus wirksam, da die Fahrer dieser vermeintlich teuren Autos häufig nicht die Eigentümer sind, sondern sich das Gefährt gemeinsam für den großen Auftritt übers Wochenende geliehen haben. Autohändler bestätigen das.

3. Zahl der E-Scooter halbieren und Abstellflächen definieren
Ein guter Ansatz, aber nur dann, wenn die Verursacher der Probleme (also die E-Scooter-Anbieter) verbindlich verpflichtet werden, an den Lösungen mitzuarbeiten.

Bewertung: Konsequentes Heranziehen der Anbieter und Strafen für die Nutzer bei wildem Parken müssen umgesetzt werden. Werden Roller in den Rhein oder den Kö-Graben geworfen, sind die Kosten für deren Bergung an die Verursacher weiterzugeben. Zu prüfen wäre, ob man die Anbieter verpflichten kann, bei groben Verstößen bei der Identifikation der letzten Nutzer zu helfen. Im Prinzip so wie bei Verkehrsvergehen mit dem Auto, für die der Halter nicht verantwortlich, aber verpflichtet ist, den Nutzer seines Fahrzeuges zu benennen. Die Vorschläge der Stadt sind realistisch, da die Anbieter ein großes Interesse daran haben, im Geschäft zu bleiben. Seitdem die Stadt ihre verschärften Regeln vor ein paar Tagen verkündet hat, habe ich an einigen Stelle, an denen sonst kreuz und quer abgestellte E-Scooter den Gehweg blockierten, eine deutliche Verbesserung der Lage gesehen.

4. Deutlich höhere Strafen für Wildpinkler (150 Euro plus Gebühren)
Die konkrete Situation kann delikat bis unappetitlich werden. Deshalb ist die Umsetzung dieser neuen Vorschrift, nicht nur wegen Personalknappheit beim OSD, schwierig.

Bewertung: Hilfreich wären gezielte Einsätze. Die sind möglich, weil man weiß, wann das Problem besonders akut wird. Karneval 2019 hat man das erstmals getestet. Außerdem kennt man die neuralgischen Stellen: Kö-Graben, Baustellenzäune, Stiftsplatz, andere Nebenstraßen der Altstadt, unübersichtliche Passagen. Erinnert sei hier an die geschickt installierten Bleche an der Außenwand des Dominikanerklosters in der Altstadt. Wer die dortigen Wände zwecks Erleichterung nutzte, pinkelte sich buchstäblich selbst an.

Die Stadt muss außerdem mehr dieser einfachen Pissoirs aufstellen, wie es sie am Kom(m)ödchen gibt – und zwar quer durch die Altstadt und beim Karneval auch an der Kö. Die anderen öffentlichen WC länger offen zu halten, sollte selbstverständlich sein.

5. Mehr OSD-Präsenz
Klingt gut, ist aber kaum umzusetzen, jedenfalls zu den derzeitigen Bedingungen. Das Problem: Die publizierten Zahlen klingen gut, aber sie sind nur ein Teil der Wahrheit. Ob man wirklich die von Oberbürgermeister Stephan Keller versprochenen 150 Leute finden wird, ist keinesfalls sicher. Außerdem wird verschwiegen, wie es um den Rest der Truppe steht: Viele sind seit vielen Jahren dabei, also nicht mehr in dem Alter, in dem man sich nachts gern in das Getümmel am Bolker Stern stürzt. Da der Einsatz in der Altstadt immer riskanter wird, hat die Stadt stillschweigend die Stärke der Streifen erhöht, was zu weiterer Personalknappheit führt. Es gibt zwar 30 Neueinstellungen, aber es wurde nicht klar, ob man mit ihnen nicht in Wahrheit nur offene Stellen wieder besetzte, also unterm Strich keinesfalls mehr Leute hat.

Bewertung: Es wird teuer! Wirklich effiziente Kräfte müssen stärker auftreten können, entsprechend ausgebildet und besser bezahlt sein. Kurz: Besseres Recruiting durch bessere Bedingungen, also mehr Geld. Den Bürgern muss man das klar kommunizieren: Sicherheit in der Altstadt ist nicht billig. Der Knackpunkt der ganzen Problematik ist die Personalstärke des OSD, seine Ausbildung, Einsatzbereitschaft und die Kooperation mit der Polizei.

Eine Mail von mir an die Stadt, die ich am Dienstagmorgen (19. Oktober) abgeschickt habe und in der ich um mehr Informationen vor allem zur Personalstärke des OSD bat, blieb bis zum Abend des 20. Oktober unbeantwortet.


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