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Gleise 1 bis 3
Verabreden Sie sich im Düsseldorfer Hauptbahnhof nie an Gleis 1. Dann können Sie lange warten. Foto: Andreas Endermann

Wo sind Gleis 1, 2 und 3?

Ich habe mir eine Frage gestellt, bei der Google nicht weiterhilft: Warum beginnt der Düsseldorfer Hauptbahnhof erst mit Gleis 4?

Veröffentlicht am 19. Oktober 2022

Auf dem Londoner Bahnhof King’s Cross gibt es ein Gleis, das nicht ausgeschildert ist, aber trotzdem existiert. An Gleis neundreiviertel können allerdings nur Personen zusteigen, die über Zauberkräfte verfügen. Muggel sehen es nicht einmal. So steht es jedenfalls in den Romanen über Harry Potter geschrieben. Auch auf dem Düsseldorfer Hauptbahnhof gibt es so eine Art Gleis neundreiviertel, sogar gleich mehrfach. Reisende können die nicht mit einem Schild versehenen Gleise zwar sehen, aber zusteigen können sie dort auch nicht. Selbst dann nicht, wenn sie zaubern können.

Es hat eine Weile, also zwanzig Jahre, gedauert, bis ich eines Tages im Düsseldorfer Hauptbahnhof eine schlichte Tatsache bemerkte: die Nummerierung der Gleise begann erst mit der 4. Treppen zu den ersten drei Gleisen existierten nicht. Hieß das etwa auch, dass die Gleise nicht existierten? Ich ging also zu Gleis 4 hinauf, aber doch, da lagen sie friedlich nebeneinander, alle drei. Bloß besaßen sie keinen Bahnsteig. Die Gebäude, die an Gleis 1 standen, sahen ziemlich verlassen aus.

Zuhause googelte ich, was das denn bitteschön sollte, aber offenbar hatte sich noch nie jemand darüber gewundert oder es überhaupt bemerkt. So wie ich zwanzig Jahre lang. Nach einer gewissen Zeit fallen einem die offensichtlichsten Dinge nicht mehr auf. Ich hatte beinahe das Gefühl, etwas ganz Großem auf der Spur zu sein und schrieb eine Mail an die NRW-Pressestelle der Deutschen Bahn. Tagelang reagierte niemand. Dabei saß die Abteilung doch unmittelbar am Hinterausgang des Hauptbahnhofs.

Ich fragte erneut nach und erhielt eine kurze, aber unbefriedigende Antwort. Die Gleise 1-3  würden als Abstell- und Gütergleise genutzt. Als der Hauptbahnhof in den 1930ern im großen Stil umgebaut worden sei, habe man die frühere Nummerierung einfach übernommen. Schön und gut, aber das erklärte nicht, was vorher mit den Gleisen gewesen war. Verfügten sie schon damals nicht über einen Bahnsteig? Immerhin, die Bahnsprecherin fügte hinzu, dass auch Gleis 8 nicht ausgeschildert sei, weil es bloß für die Durchfahrt genutzt werde. „Sprich, am Düsseldorfer Hbf gibt es die Gleislage 8, jedoch keinen Bahnsteig mit dieser Nummer.“ Auch das war mir nie aufgefallen. Ich musste nun also nicht bloß das Schicksal von drei, sondern von vier Gleisen klären.

Erst das Stadtarchiv half mir weiter. Ich kann einen Besuch dort nur empfehlen. Man recherchiert vorher, welche Bücher das Stadtarchiv zum Thema bereithält. Dann schickt man ihnen eine Mail mit den gewünschten Büchern und einen Terminvorschlag. Erscheint man dort, haben sie alles schon herausgesucht. Mir half vor allem das nüchtern betitelte Werk „Düsseldorf und seine Eisenbahnen“ von Karl Endmann weiter, erschienen im Jahr 1987. Außerdem bereits ein paar Tage vorher Joachim Bügel vom Archiv der Eisenbahnstiftung in einer E-Mail.

Der Düsseldorfer Hauptbahnhof wurde 1891 unter dem Namen „Central Personen Bahnhof“ eröffnet. Die Stadt hatte vorher schon über drei Bahnhöfe verfügt, die jeweils zur Strecke einer privaten Eisenbahngesellschaft gehörten. Preußen hielt das Thema Bahnverkehr in Zeiten des industriellen Aufschwungs allerdings für so wichtig, dass es die Sache selbst in die Hand nahm und Bahnhöfe und Strecken allerorten verstaatlichte. 1881 wurde Düsseldorf mit 100.000 Einwohnern zur Großstadt und brauchte Platz zum Wachsen. Da störten die Bahnhöfe nur, von denen zwei am südlichen Ende der Königsallee lagen. Die drei sollten weg, ein Hauptbahnhof her. Die Wahl fiel auf ein Gelände, auf dem bisher Sand und Kies abgebaut worden war. Heute liegt der Hauptbahnhof zentral. Damals war das noch der Rand der städtischen Bebauung. Vor dem Bahnhof entstand der Kaiser-Wilhelm-Platz. Erst später wurde er nach einem Mann benannt, der 1891 noch ein Teenager war: Konrad Adenauer.

Der erste Hauptbahnhof hat bis auf den Standort wenig mit der heutigen Anlage zu tun. Im Zentrum lag ein riesiger Mittelbahnsteig, in den zungenartig von beiden Seiten Gleise hineinragten. Die Züge mussten dort also halten und zurückfahren. Auf dem Mittelbahnsteig lag auch der Wartesaal. Einige Gleise waren auch damals schon durchgehend. Außerdem wurden gleich hinter dem Empfangsgebäude mehrere Gleise errichtet, die nicht dem Personenverkehr dienten und deshalb keinen Bahnsteig benötigten. Sie waren für Güterverkehr, das Abstellen und Rangieren vorgesehen, also dem Zusammenstellen von Zügen. Außerdem waren die Gleise die Zufahrt für den Lokomotivschuppen im Norden des Bahnhofs. Durch die Trennung sollte der Personenverkehr nicht gestört werden. Die Gleise 1-3 hat es also von Anfang an gegeben. Wenn ich das Kartenmaterial richtig deute, waren es damals sogar noch mehr. 

Diese Gleise wurden auch später nicht für den Personenverkehr genutzt. In den 1930er Jahren baute man den Bahnhof um, weil er zu klein geworden war. Der Wartesaal wurde abgerissen und ins neue Bahnhofsgebäude mit Uhrenturm verlegt. Aus dem Prachtbau wurde ein eher schlichter Ziegelbau. Alle Gleise, nun 18 an der Zahl, waren durchgehend, führten also in den Bahnhof hinein und auch wieder hinaus. Schließlich stand der Wartesaal nicht mehr im Weg. Bei diesem Umbau entstand auch Gleis 8, das ebenfalls keinen Bahnsteig bekam und nur für Durchfahrten vorgesehen war. Die Gleise 1-3 blieben den Güterzügen vorbehalten. Bloß rangiert wurde nun im Abstellbahnhof in Oberbilk. Dort statt am Hauptbahnhof stand nun auch der Lokschuppen. Beim letzten großen Umbau in den 1980ern wurden aus den 18 Gleisen 20. Außerdem erhielt der Bahnhof einen Hinterausgang, wofür die Stadt den Bertha-von-Suttner-Platz schuf. Unter der Erde entstand der U-Bahnhof.

Die Gleise 1-3 behielten ihre Funktion. In dem Übersichtsplan, den die Deutsche Bahn im Internet vom Düsseldorfer Hauptbahnhof zur Verfügung stellt, ist davon allerdings nichts zu sehen. Dort, wo die drei Gleise verlaufen, ist bloß Weißraum.

Als habe sie jemand weggezaubert.

Weiterführende Links

Hier kann man den Bestand des Stadtarchivs recherchieren.

Eine Übersicht der Düsseldorfer Bahnanlagen von 1894 findet man hier.

Einen Plan vom heutigen Hauptbahnhof gibt es hier.


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