Guten Morgen ,
wir sind derzeit in einer Phase, die den Düsseldorfer Einzelhandel jedes Jahr jubilieren lässt: im Weihnachtsgeschäft. Das geht Anfang November los, kurz nach dem Monatswechsel. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt, steigt die Zahl der Einkäufer binnen weniger Tage. Vermutlich liegt es an der zu diesem Zeitpunkt eingegangenen Gehaltszahlung. Die Höhepunkte dieser Wochen, umsatztechnisch gesehen, sind jeweils die Samstage. Es knubbelt sich in der Innenstadt, zigtausende Menschen sind, oft dick bepackt, unterwegs.
Das wissen natürlich auch alle, denen es wichtig - manchmal überlebenswichtig - ist, eine Botschaft zu verkünden oder Forderungen zu stellen. Sie organisieren eine Demo und ziehen zwischen Graf-Adolf-Straße und Hofgarten, Altstadt und Berliner Allee durch die eh vollen Straßen der Stadt. Ihr Plan, Aufsehen zu erregen, geht auf: Der Verkehr stockt, selbst zu Fuß ist nur schwer durchzukommen. Das wiederum gefällt den Händlern gar nicht, denn es ist schlecht fürs Geschäft. Auch weil etliche Menschen daheimbleiben, ihr Geld online oder woanders ausgeben.
Wenn dann noch eine große Düsseldorfer Tageszeitung die Proteste ankündigt und dazu rät, sich einen Shopping-Trip nochmal gut zu überlegen, geht die Laune so richtig in den Keller. Auch in den Chefetagen der Verlage: Kaufleute sind nämlich Anzeigenkunden, denen eine solche geschäftsschädigende Warnung im von ihnen finanzierten Organ äußerst sauer aufstößt.
Hinter dieser allgemeinen Erregung jedoch steckt nach meiner Meinung ein erschreckend flaches Denkmuster. Die Kaufleute profitieren übers Jahr immerhin an 99 Prozent der Tage von ihrer 1a-Lage mitten in der Stadt, hadern aber mit deren Kehrseite. Der von Journalisten publizierte Tipp, sich den durch die Proteste verursachten Stress zu ersparen, offenbart dagegen fehlendes Demokratie-Verständnis und eine erstaunliche Unkenntnis unseres Grundgesetzes. Dort sind zwei der wichtigsten Rechte das auf freie Meinungsäußerung und das, sich zu versammeln. Solche Regeln als pure Störung zu klassifizieren, ist töricht, ja: peinlich. Vor allem angesichts der Motivlage bei den Demonstranten. Kurden und Iraner machen auf die Bedrohung der Menschen in ihrem Land aufmerksam. Die kämpfen um mehr als um störungsfreies Einkaufen, nämlich um ihr Leben und die Zukunft ihrer Kinder. Wer das nicht begreift und nur als lästiges Übel beim Shoppen ansieht, hat vergessen, in welchem Wohlstand er lebt – nicht bezogen auf Materielles, sondern darauf, dass er sagen darf, was und wo er will. Das ist außerhalb Europas keineswegs selbstverständlich. Wir erleben das gerade in Russland und China.
Zu fordern, man möge doch solche Aktionen verbieten, beweist ebenfalls wenig staatsbürgerliche Bildung. Demonstrationen können nämlich in unserem Rechtssystem nicht verboten, sie müssen nicht einmal erlaubt werden. Der Veranstalter hat sie lediglich anzumelden. Nur wenn die Polizei konkret belegbare Sicherheitsbedenken hat, kann sie die Proteste unterbinden. An der Begründung für diesen Schritt legen unsere Verwaltungsgerichte jedoch – dankenswerterweise – sehr hohe Ansprüche. Drohende Umsatzminderung oder Probleme bei der Parkplatzsuche gelten übrigens nicht als Anti-Demo-Argumente.
|