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Betroffenheit oder purer Egoismus? Wann darf man sich wehren, weil man sich belästigt fühlt, was hat man zu dulden? Eine Frage, die ich mir - nicht zum ersten Mal in dieser Stadt - in den letzten Tagen wieder stellen musste. Der Anlass: die Diskussion um den Kirmesstandort. Sie wurde heftiger denn je geführt. Die Idee einer Verlegung auf die Parkplätze der Messe fand kaum Beifall und wurde nur von einigen wenigen begrüßt. Eine Frage des Standpunkts halt, buchstäblich. Dass eine Düsseldorfer Tageszeitung das Thema
hier bei uns las und aufgriff, nachdem vorher pflichtgemäß eine euphorische Bilanz (vier Millionen Besucher, alles friedlich) veröffentlicht worden war, hat mich gefreut, zumal ich so noch mehr Reaktionen lesen konnte.
Auffallend jedoch war eine irritierende Tonalität vieler Kommentare – nämlich weit weg von sachlicher Auseinandersetzung und stattdessen mit leidenschaftlichem Aufzählen emotionaler Argumente. Besonders bedenklich finde ich, dass den Anwohnern des Kirmesgeländes, also vor allem denen in Ober- und Niederkassel, im Prinzip das Recht abgesprochen wird, überhaupt gegen die Kirmes zu sein. Sozialneid klingt da häufig an: Ohnehin privilegiert in bester Wohnlage hätten sie das hinzunehmen, zehn Tage im Jahr (in Wahrheit sind es dreimal so viele) Belästigungen zu erleben. Außerdem hätten sie gewusst, wohin sie ziehen, als sie sich dort niederließen, denn die Kirmes gebe es an diesem Standort seit über 100 Jahren. Mir selbst wurde übrigens ebenfalls unterstellt, aus persönlichen Gründen die Kirmes verlegen zu wollen. Denn ich wohne ja ebenfalls linksrheinisch. Was korrekt ist, aber ich lebe in Lörick, und bin vom Kirmes-Verkehrschaos nicht betroffen, habe es aber auf meinen Wegen durch die Stadt erlebt.
Jedenfalls stellt sich mir die Frage, ob persönliche Betroffenheit als Begründung dafür, gegen irgendwas zu sein, grundsätzlich nicht akzeptabel ist. Denn genau dies klingt in dieser Diskussion an: Der Einzelne hat sich dem vermeintlichen Allgemeinwohl zu unterwerfen und persönliche Einschränkungen hinzunehmen.
Bis zu einem gewissen Grad würde ich dem gewiss zustimmen. Eine Minderheit sollte nicht einer Mehrheit ihren Willen aufzwingen können, das würde unser Zusammenleben lähmen. Aber dennoch macht diese Regel sie nicht völlig rechtlos. Vor allem dann nicht, wenn die Belastungen keinesfalls nur einige wenige, sondern – wie im konkreten Fall – viele tausend Menschen betreffen. Denen puren Egoismus zu unterstellen, ist ziemlich billig.
Außerdem ist die persönliche Betroffenheit immer und überall die Triebfeder für Protest. Beispiele dafür gibt es in Düsseldorf reichlich: Als es Kritik am U-81-Ausbau zwischen Flughafen und Innenstadt gab und ein Tunnel statt einer Brücke gefordert wurde, ging kein Düsseldorfer aus Angermund oder Urdenbach auf die Barrikaden. Sondern nur Nachbarn. Die Flughafenbrücke der A 44 wurde seinerzeit nicht über Jahre von Benrathern oder Gerresheimern bekämpft, sondern von Anwohnern. Und wenn es um den Lärm startender oder landender Jets geht, habe ich noch nie gehört, dass sich Bewohner der Carlstadt oder aus Oberbilk zu Wort melden. Nach der Logik aller Befürworter des Kirmesstandortes Oberkassel hätten alle diese Menschen kein Recht, ihre Interessen zu vertreten.